Das vordringlichste Problem sei die Personalnot, schreiben die Oberärzte. Die Arbeitsbelastung sei „grenzwertig hoch“, der Einsatz von Honorarärzten sei „eine unbefriedigende Lösung“, Ärzte ohne Approbation einzustellen (ohne die staatliche Zulassung, den Beruf selbstständig und eigenverantwortlich auszuüben), sehen sie kritisch und fordern „dringend weitere Maßnahmen zur Personalrekrutierung“, da der Personalmangel nicht weiter kompensiert werden könne. Auch aus einer anderen Abteilung der Klinik hat unsere Zeitung ähnliche Kritik gehört.
Die Briefe hat unsere Zeitung von einem Mitarbeiter des Kreiskrankenhauses bekommen. Er mache sich Sorgen um das Kreiskrankenhaus, sagt der Mann, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Da muss was passieren, aber es passiert nichts.“ Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet er von einer Kündigungswelle bei Ärzten und Pflegepersonal am Kreiskrankenhaus. Teilweise hätten diese Mitarbeiter seit Jahrzehnten dort gearbeitet. „Niemand hinterfragt das“, so sein Eindruck.
„Unter den momentanen Gegebenheiten ist eine adäquate, patientenzentrierte und sichere Versorgung der Patienten nicht zu gewährleisten.“
Deshalb möchte er die Probleme und die von Ärzten geäußerte Kritik öffentlich machen, bei der es vor allem um Personalknappheit und eine ständige Überlastung geht. Schon in dem ersten Brief vom 21. November 2021 berichten Assistenzärzte von „akuten Missständen in der assistenzärztlichen chirurgischen Versorgung“. Stationen seien regelmäßig unterbesetzt, ausführliche Gespräche mit Patienten und Angehörigen müssten entfallen, die Gefahr von Flüchtigkeitsfehlern erhöhe sich. „Dass wir mit dieser Meinung nicht alleine dastehen, zeigen diverse Beschwerden z.B. über lange Wartezeiten in der ZNA (Zentralen Notaufnahme), die das Krankenhaus via Internet erreichen und für ein negatives Image sorgen.“
In dem zweiten Brief etwa ein Jahr später vom 14. Dezember 2022 schreiben die Assistenzärzte, dass Besprechungen neu organisiert worden und Übergaben aus ihrer Sicht nicht optimal geregelt seien. „Das führt dazu, dass man Verantwortung für Patienten übernehmen soll, von denen man die Hälfte bis zwei Drittel gar nicht kennt. (...) Die Dokumentation ist oft sehr lückenhaft.“
Stellen seien „unerklärlich“ schon seit über einem Jahr unbesetzt. Zudem seien die Assistenten wegen der Personalknappheit von einer geregelten Ausbildung „weit entfernt“. Und eine geänderte Organisation der Dienstzeiten in der Abteilung führe zu „einem zunehmenden Klima der Unzufriedenheit und des Misstrauens“.
Als Stellungnahme dazu schreiben die Oberärzte der Chirurgie eine Woche später in einem Brief vom 20. Dezember 2022, die personelle Besetzung sei „keinesfalls ausreichend, weder um Patienten adäquat zu versorgen und die Patientensicherheit zu gewährleisten, noch um entsprechend den Vorgaben des TVÄ (Tarifvertrag Ärzte) die Dienste zu besetzen“.
Sie schreiben, dass in ihrer Abteilung noch sechs Assistenzarzt-Stellen in der Chirurgie mit sieben Köpfen besetzt seien, für eine vernünftige Patientenversorgung und Ausbildung seien aber neun Köpfe erforderlich. „Abgesehen von den tarifrechtlichen Erfordernissen gibt es auch eine Reihe medizinischer Gründe, die klar erkennen lassen, dass eine Patientenversorgung mit dem momentanen Personalschlüssel nicht möglich ist“, so die Meinung der Oberärzte.
Eine Mitarbeiterin des Krankenhauses hat uns diese Woche berichtet, dass es auch in der Verwaltung zuletzt einige Kündigungen gegeben habe – auch wegen Geschäftsführerin Margarete Janson. Die Mitarbeiterin sprach von schlechter Stimmung und Unzufriedenheit.
Nach Angaben des Landkreises Waldeck-Frankenberg, der Träger des Kreiskrankenhauses in Frankenberg ist, beschäftigt das Kreiskrankenhaus rund 600 Mitarbeiter. Es verfügt über 223 Betten. Jährlich werden in dem Krankenhaus rund 30 000 Patienten ambulant und stationär behandelt.
Die Kritik am Kreiskrankenhaus, mit der wir Landrat Jürgen van der Horst als Aufsichtsratsvorsitzenden und Geschäftsführerin Margarete Janson konfrontiert haben, sei für ihn nicht neu, sagte der Landrat in unserem Gespräch im Kreishaus. „Das reiht sich ein in einen Kanon an Rückmeldungen, die ich in den letzten zwölf Monaten bekommen habe.“ Mit dem Betriebsrat stehe er in einem „intensiven Austausch, der in der Gesamtschau auch kritisch ausfällt“.
Dieses „verfestigte negative Wahrnehmungsbild“ sei zum einen durch allgemeine Probleme im Gesundheitswesen entstanden: etwa Druck in der Pflege, Fachkräftemangel und Kostendruck. „Das gilt für alle Krankenhäuser in Deutschland“, sagt der Landrat. Hinzu kämen einige Besonderheiten für das Kreiskrankenhaus in Frankenberg, wo sich über Jahre und Jahrzehnte Investitionen angestaut hätten – zum einen bei den Räumlichkeiten des Altbestandes, zum anderen inhaltlich bei Abläufen, Prozessen und Strukturen. „Da haben wir einen extremen Nachholbedarf.“ Dies führe zu einem hohen Handlungsdruck für die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat.
Um die nötigen Veränderungen umzusetzen, seien ein konsequenter Entscheidungsstil und ein hohes Tempo nötig. „Das kannte das Krankenhaus bisher nicht“, sagt der Landrat. „Ich habe großes Verständnis, dass das viele kritisch sehen und verunsichert sind, aber es ändert nichts an der Notwendigkeit, dass wir umsteuern müssen.“
Sicherlich gebe es auch Defizite in der Kommunikation in den Abteilungen, sagte der Landrat. Es komme vielleicht nicht bei jedem Mitarbeiter an, was gerade passiere. „Es braucht Zeit, bis sich die Veränderungen auswirken und wahrgenommen werden.“ In den vergangenen Monaten seien zum Beispiel das Patientenservicezentrum (Terminvergabe, OP-Vorbereitung) eingeführt und das zentrale Belegungsmanagement verbessert worden.
„Es braucht Zeit, bis sich die Veränderungen auswirken und wahrgenommen werden.“
Eine „große Baustelle“ sei noch die Zentrale Notaufnahme. Die Verweildauer der Patienten sei zu lang. Ziel sei, dort nicht länger als zwei Stunden zu bleiben und dann „viel früher, schneller und klarer“ weitergeführt zu werden. „Wenn der Patient zufrieden ist, ist es auch der Mitarbeiter“, sagt Geschäftsführerin Margarete Janson, die die Klinik seit Juli 2020 leitet.
Und: Das Kreiskrankenhaus müsse sich zu oft – fast täglich – beim Rettungsdienst abmelden, weil keine Patienten mehr aufgenommen werden können. Durch erste Umstrukturierungen habe es hier schon Erfolge gegeben, sagt der Landrat. In die Substanz des gut 70 Jahre alten Gebäudes sei zuletzt vor 40 Jahren investiert worden, sagt er und spricht von einem „dysfunktionalen Haus“. Auch die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten soll verbessert werden. „Das wurde vernachlässigt.“
Wie das Kreiskrankenhaus künftig organisatorisch und baulich besser aufgestellt werden kann, soll eine Machbarkeitsstudie klären, die der Landkreis im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte. Aktuell liege dazu ein Zwischenbericht vor. Details könne er noch nicht nennen. „Wir haben Gestaltungsmöglichkeiten in der Vergangenheit – auch vor Frau Janson – nicht genutzt“, sagt van der Horst und verweist auf mehrere Geschäftsführerwechsel in den vergangenen Jahren.
Mit der Studie sollen Strukturen „hinterfragt und nachjustiert“ werden. Da seien alle Führungsebenen in der Pflicht. Der Landrat spricht von einem Kulturwandel: „Der Patient muss wieder im Mittelpunkt stehen.“ Er bittet aber um Geduld: „Wir haben einen klaren Plan, sind aber noch längst nicht fertig. Wir haben noch keine stabile Situation erreicht.“ Es müsse sich aber niemand Sorgen machen, betonen Landrat und Geschäftsführerin. „Wir können ein Signal der Beruhigung geben“, sagt van der Horst.
Mehr zu dem Thema lesen Sie in der gedruckten Ausgabe unserer Zeitung vom Freitag, 10. März 2023