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"Machen Sie erst mal Ihr Studium fertig"

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Burgwald/Cölbe - Stefan Schulte gewann im Schach gegen Otto Schily, spielte mit Joschka Fischer in einer Fußballmannschaft und zog den Unmut von Gerhard Schröder auf sich: Vor 30 Jahren wurden die Grünen erstmals in den Bundestag gewählt, und mit ihnen der heutige Geschäftsführer der Entwicklungsgruppe Region Burgwald-Ederbergland.

Burgwald. Längst hat Stefan Schulte sich von den Grünen abgewendet. Sie seien nicht mehr nachhaltig genug. Zu wenig ist für ihn geblieben von der Öko-Partei, die aus dem Protest gegen Atomkraft und Straßenbau entstanden war. Demonstrationen, langhaarige Turnschuhträger und konservative etablierte Politiker in einem Bundestag: „Man kann sich das heute gar nicht mehr so vorstellen“, sagt der 56-Jährige.

Er stand damals auf dem 16. Listenplatz. Die Grünen, die 5,6 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatten, bekamen 27 Plätze im Bundestag, acht davon aus Nordrhein-Westfalen. Weil nach der Hälfte der Wahlperiode die Mitglieder der Fraktion getauscht wurden, kam Schulte im Jahr 1985 für Eckhard Stratmann-Mertens als Nachrücker aus dem Wahlkreis Märkischer Kreis I in den Bundestag - mit 27 Jahren.

„Vier Tage lang war ich der jüngste Abgeordnete“, erinnert er sich. Doch schon 1983 war er nach Bonn gekommen. Trotz des Rotationsprinzips, nach dem Schulte erst ab 1985 Bundestagsabgeordneter wurde, gehörte er schon ab 1979 zu den Grünen und war als gleichberechtigter Nachrücker zunächst Angestellter der Fraktion. „Ich hatte mich in Bonn bei meinem Schwager einquartiert“, erinnert er sich. „Der war bei der CDU und Sekretär von Heiner Geißler. Wir hatten lange Diskussionen.“

Mit dem Rotationsprinzip wollten die Grünen vermeiden, dass die Abgeordneten zu „Berufspolitikern“ wurden. „Über die herrschte großer Unmut“, sagt Stefan Schulte. Die Grünen bekamen Facharbeiterlohn, „aber das reichte mir, weil sich mein Lebenswandel nicht geändert hatte“. Von ihren Diäten sollten Bundestagsabgeordnete 1950 plus 500 Mark für jede zu unterhaltende Person behalten.

Stefan Schulte schaffte es auf einen vorderen Listenplatz in Nordrhein-Westfalen, weil „unter den ersten 15 noch keiner aus dem Umweltsektor und niemand aus dem Sauerland war“, sagt er. Schulte war damals schon politisch erfahren - aber in einem anderen Lager: „Ich war Mitglied der Jungen Union.“ Doch Verkehrspolitik, Antikriegshaltung und Atomprotest brachten den Biologie-Studenten Schulte in die andere Richtung: Er gründete 1979 die Grünen auf Kreis- und Bundesebene mit und gehörte auch dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) an. „Später gab es Rückwerbeangebote im Bundestag“, erinnert er sich schmunzelnd. Dass er selbst es nach Bonn schaffen könnte, „daran habe ich nicht ansatzweise gedacht“. In seiner Heimatstadt Menden im Sauerland hatte er sich gegen den Bau der A 46 starkgemacht - erfolgreich.

Schulte hatte viel Arbeit: Er war für den Verkehrssektor zuständig und gehörte zeitweise auch dem Innenausschuss an. „Ich saß neben Hans-Christian Ströbele.“ Die Grünen unterstützten Bürgerinitiativen in ganz Deutschland, die sich gegen den Bau von Straßen zur Wehr setzten. Nicht nur innerlich, sondern auch optisch war er ein typischer Grüner: mit ­langen Haaren und einer alten Adidas-Regenjacke. „Otto Schily hat mir einmal im Aufzug gesagt, ich sollte mir mal eine neue Jacke anziehen.“ Noch mehr lächelt er bis heute über einen Satz des früheren CDU-Abgeordneten Alfred Dregger: „Machen Sie erst mal Ihr Studium fertig“, habe der ihm zugerufen.

Erinnerungen hat Schulte viele. Zum Beispiel über die namentliche Abstimmung des Bundestags zur Nato-Nachrüstung 1983. Schulte hatte an einer Demonstration buddhistischer Mönche teilgenommen, kam von dort aus in die Lobby des Bundestags - und traf auf zahlreiche betrunkene Abgeordnete. „Über die Nachrüstung ist im Vollrausch abgestimmt worden. Das war eine Ernüchterung für einen Jungen aus dem Sauerland.“ Doch nicht nur Politik bestimmte den Alltag. Schulte gehörte zu den Gründungsmitgliedern der „Grünen Tulpe“, ­einer bis heute existierenden Fußballmannschaft der Grünen. Er kickte unter anderem mit Joschka Fischer. Am Abend nach einer Klausurtagung spielte er gegen Otto Schily Schach und gewann. „Ich war jahrelang in einem Verein gewesen, Otto Schily kannte keine Theorie.“

An einen Abend in einer Bonner Szenekneipe erinnert sich Stefan Schulte ebenfalls noch gut: Dort traf er Joschka Fischer im Gespräch mit einem jungen Mann an. „Ich fragte Joschka, wer das denn sei“, erzählt Schulte. „Der andere hat mich nur angeschaut. Wenn Blicke töten könnten, säße ich jetzt nicht hier.“ Es war Gerhard Schröder, damals Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos.

Schon 1987 zog sich Stefan Schulte aus der Politik zurück. „Die Grünen waren mir nicht mehr ökologisch genug. Ich habe so eine grüne Seele, dass ich heute Probleme habe, die Grünen zu wählen. Und ich bin für Politik viel zu ehrlich.“ Viele Mitbegründer seien aus den gleichen Gründen ausgetreten, „auch viele Kriegsgegner“.

Seine Kritik: „Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum sind auf Dauer nicht miteinander zu vereinbaren.“ Damals hätten die Grünen vor allem von der Anti-Atom-Haltung in der Bevölkerung profitiert. „Wenn es eine Post-Wachstums-Partei gäbe, könnte es sein, dass ich noch mal Lust auf Politik bekäme.“

1987 hörte er auf Alfred Dregger und beendete sein Biologie-Studium: „Finanziert habe ich das mit den Ersparnissen aus der Bundestagszeit.“ Anfang der 90er-Jahre leitete Schulte Bildungsurlaube zu ökologischen Themen in den Alpen und verfasste Gutachten unter anderem zu „Waldferien im Kellerwald“ und „Umweltfreundlicher Ferienort Frankenau“.

Auf der ersten Burgwaldmesse in Burgwald 1995 kam er in Kontakt zu Adam Daume. Im gleichen Jahr wurde er Geschäftsführer der Entwicklungsgruppe Region Burgwald, zu der inzwischen auch das Ederbergland gehört. Mit vielen Projekten hat er unabhängig und überparteilich das Ziel verfolgt, die Region voranzubringen.

Stefan Schulte lebt mit seinen zwei Kindern und seiner Lebensgefährtin in Cölbe.

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