Ein Junkie gesteht die Tat. Delicato setzt ihm heftig zu und entlarvt seine Aussage als Lüge. Eine weitere Vergewaltigung ereignet sich, mit gleichen Tatmerkmalen. Dann noch eine. Die Ermittler geraten unter Druck. Der Vater des dritten Opfers ist eine hochgestellte Persönlichkeit mit guten Beziehungen zur Polizeiführung. Petra Delicato wird von den Ermittlungen entbunden. Anfangs wäre ihr das noch recht gewesen, inzwischen aber hat sie sich in den Fall verbissen, will ihn unbedingt lösen. Sie gibt nicht auf, und der treue Antonio Monte leistet Schützenhilfe.
Produktionen wie „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ oder „Die Brücke – Transit in den Tod“ zeigen, dass starke Frauenfiguren eine ganze Serie tragen können, selbst wenn die vor Logikfehlern nur so strotzt. Sarah Lund und Saga Norén waren unzugängliche Charaktere, erst auf den zweiten Blick sympathisch, aber beide mit Tiefe. Ähnlich verhält es sich mit Petra Delicato. Verschlossen und spröde tritt sie auf, anfangs wird ihr Eigenbrötlertum ein wenig überzeichnet. Sie lebt nach zwei Jahren immer noch inmitten von Umzugskartons und hält sich Grillen als Futter für ihre Spinne. Gelegentlich schaut ihr Ex-Mann Lorenzo (Simone Liberati ) vorbei, ein Restaurantbesitzer, der ihr Essen vorbeibringt und sie auch schon mal fürsorglich ermahnt, sie solle Socken anziehen, anderenfalls werde sie sich erkälten. Sie faucht ihn an, wenn er mal wieder überraschend spät abends vor der Tür steht, zeigt aber ein leises Lächeln, sobald er ihr den Rücken zukehrt.
Die Ehe mit dem deutlich jüngeren Lorenzo war ihre zweite. Zuvor war sie in Rom mit einem Anwalt verheiratet, das Verhältnis zu ihm ist weit weniger harmonisch. In Folge 4 stehen sie sich gar unnachgiebig als berufliche Widersacher gegenüber.
Es gibt vieles zu entdecken an Petra Delicato, die von der spanischen Krimiautorin Alicia Giménez Bartlett erdacht wurde. Schon 1999 entstand in Spanien eine Serie nach ihren in Barcelona angesiedelten Romanen. Ana Belén spielte die Hauptrolle.
Nicht nur mit dem Thema Ehe hat Delicato abgeschlossen, sie ist nach zwei verpatzten Ehen beziehungsunwillig und lebt polygam. Sie verblüfft Antonio Monte, der ihr dauerhafter Partner wird, schon mal mit dem offenen Bekenntnis, mit einem Zeugen „vögeln“ zu wollen. Wie sie überhaupt genüsslich eine freizügige Sprache pflegt, was dem redlichen Monte ersichtlich Unbehagen bereitet.
Die Dialoge zwischen den beiden zählen zu den besonderen Qualitäten dieser Serie. Es braucht seine Zeit, bis der bärenhaft-gemütliche Monte sich auf ihr kratzbürstiges, unromantisches Naturell eingestellt hat. Dann aber weiß er zu parieren, auch zu provozieren. Immer auf eine zugewandte, sogar liebevolle Art. Denn mit der Zeit entwickeln die ungleichen Partner eine gewisse Zuneigung füreinander. Nicht erotisch motiviert, vielmehr rein freundschaftlich, aber tief.
Die Beziehungen zwischen den Hauptfiguren durchlaufen über die vier Folgen hinweg einige Veränderungen, die Kriminalfälle werden jeweils abgeschlossen. Die Ermittlungen führen in Kreise illegaler Tierhändler, unter religiöse Eiferer, in Roms Schickeria. Vereinzelt übertreibt es das Autorenteam ein wenig mit den Bizarrerien. Aber Petra Delicatos Umgang mit unappetitlichen Dingen macht die Fehltritte wieder wett.
Und es ist eine Freude, der Hauptdarstellerin Paola Cortellesi zuzuschauen, wenn sie ihren trotzigen Blick aufsetzt, mit sich ringt oder mit wehendem Mantel durch Genuas Gassen eilt, wenn sie attraktive Männer unverhohlen mit prüfenden Blicken abtastet, wie es meist eher umgekehrt geschieht, oder in Krisenphasen das Aquarium besucht und still den Fischen zusieht.
Auch nach vier abendfüllenden Folgen, alle inszeniert von Maria Sole Tognazzi, die erstmals für eine Fernsehproduktion tätig wurde, sind noch nicht alle Geheimnisse Delicatos enthüllt. Es bleibt noch Spielraum für eine zweite Staffel.
„Mord in Genua – Ein Fall für Petra Delicato“, vierteilige Serie, 6. und 13. Dezember und 3. und 10. Januar, jeweils 22:15 Uhr, ZDF, und nach der Ausstrahlung in der ZDF-Mediathek. (Harald Keller)