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"Saint Amour - Drei gute Jahrgänge": Der etwas andere Roadtrip

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Von: Thomas Willmann

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In "Saint Amour" nimmt sich das Regieduo Kervern/Delépine feinfühlig des Themas Vaterschaft an – in allen Varianten. Gérard Depardieu zeigt sich von seiner besten Schauspiel-Seite.

Sie sind derzeit viel in der Diskussion: die abgehängten weißen Männer – die gefühlten Verlierer von Globalisierung und Gleichberechtigung. Auch den Bauern Jean (Gérard Depardieu) und seinen Sohn Bruno (Benoît Poelvoorde) könnte man dazu zählen. Der Familienbetrieb hat kaum noch Chancen gegen die Agrarindustrie; Bruno erwägt einen Baumarkt-Job. Sein Jahresurlaub besteht aus einer erbärmlichen "Weinreise": Auf der großen Landwirtschaftsausstellung tourt er die regionalen Winzerstände ab – und alle zehn Stadien eines Saurauschs.

Aber Jean will ihn nicht stecken bleiben sehen in Selbstmitleid und Reue. Er heuert das nächstbeste Taxi an, damit sich die zwei tatsächlich durchs ganze Reben-Land Frankreich chauffieren lassen können. Der vermeintlich weltgewandte Fahrer Mike (Vincent Lacoste) wird bald zum befreundeten Dritten im Bunde – bei einem Roadmovie, das mehr als nur Jean und Bruno wieder näher bringt.

Die geheimen Optimisten

Die belgischen Kino-Anarchisten Kervern & Delépine sind Spezialisten für solche Figuren: die Überholten, die sie in Werken wie "Mammuth", "Louise hires a Contract Killer" oder "Der Tag wird kommen" zum mehr oder minder Don Quixote-haften Sturmlauf gegen die Verhältnisse schicken. Doch ihre Filme sind auch deshalb (oft absurde, rotzig lakonische) Komödien statt Sozialdramen, weil sie insgeheim Optimisten sind. Ihre Verlierer-Figuren behaupten sich einen Kern-Stolz, der keine Herabsetzung des "Anderen" braucht, um zu bestehen.

Gerade wo Depardieu drohte, jenseits der Leinwand groteske Selbstkarikatur zu werden, entdeckt man ihn nun (wie etwa bei Guillaume Nicloux) als großen Schauspieler wieder. In "Saint Amour" ist er der Geerdete, geht es (in der Synchronfassung zu maskulin brummend) um den Kontrast von bulligem Leib und Zartheit der Mimik, Verletzlichkeit der Seele. Während Poelvoorde – phasenweise auf melancholische Liebhaber abonniert – seit "Das brandneue Testament" wieder sein Talent für Deppen ausleben darf.

Vaterschaft in allen Varianten

"Saint Amor" zeigt Kervern/Delépine in ungewohnt feinfühligem, versöhnlichem Modus. Das eigentliche, große Thema des Films ist Vaterschaft, in allen Varianten. Selbst den Berufs-Menschenfeind Michel Houellebecq lassen sie in einem hinreißenden Gastauftritt ein lärmendes Kinderspielzeug demonstrieren. Und erstmals wird einer ihrer Filme von einer Riege großartiger Frauen mitbestimmt. Anfangs hält Jean noch fest an seiner verstorbenen Gattin. Doch die Begegnungen etwa mit einer Provinz-Bedienung (Solène Rigot), einer Weinverkäuferin (Chiara Mastroianni), einer zupackenden Maklerin (Ovidie) oder das wahrhafte "Alles kann, nichts muss"-Alters-Stelldichein mit einer Zufallsbekanntschaft (Andréa Ferréol) holen die Männer aus ihrer inneren Einzelhaft. Gipfelnd im Auftritt der rothaarigen Venus (Céline Sallette) – die ein sehr unerwartetes Anliegen an das Trio hat.

Mit gutem Grund entkoppelt "Saint Amour" letztlich sehr clever die Vaterschaft vom rein Biologischen, von der Sorge um das Weiterbehaupten der eigenen Gene. Ihm geht es um eine Fürsorge für das Zukünftige: Auch diejenigen, die dereinst verschwunden sein werden, können liebende Verantwortung übernehmen für das Neue, noch Fremde, was da kommt.

"Saint Amour"

mit Gérard Depardieu

Regie: Benoît Delépine und Gustave Kervern

Laufzeit: 101 Minuten

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