Talkshow-Flut und maue Quoten in der ARD
- Dreihundertsechzig Minuten pro Woche – das ist die neue Brutto-Redezeit im reformierten ARD-Abendprogramm. Fünf Gesprächsrunden, fünf Moderatoren, fünf Studios, von montags bis sonntags. Ist das zu viel? Die Quoten sind jedenfalls mau.
Man wolle „dem demokratischen Meinungsaustausch und der kontroversen Debattenkultur zusätzlichen Raum geben“, versichert ARD-Programmdirektor Volker Herres. Fernsehen – das Laberfeuer der Nation. Klingt schön, ist aber nur die halbe Wahrheit. Vor allem wollte man den teuren Neuzugang Günther Jauch am Sonntag im Programm unterbringen, ohne die bewährten Talkkräfte Frank Plasberg, Anne Will, Sandra Maischberger und Reinhold Beckmann zu verprellen. Dazu kommen noch die Talkshows in den Dritten Programmen; „3nach9“, „Riverboat“, „WDR Treff“, „NDR Talk Show“ und wie sie alle heißen.
Maue Quoten
Seit ein paar Tagen nun läuft das Talk-Experiment, laut Herres „eine der größeren Strukturreformen im Ersten Deutschen Fernsehen“. Erst am Sonntag steigt Jauch ins Geschehen ein, doch schon jetzt zeigt sich: Das verwirrende Bäumchen-wechsel-dich-Spielchen bei den Sendeplätzen war hochriskant: Die Quoten stimmen nicht. Jauchs vier ARD-Mitstreiter im Rede-Reigen mussten bei ihren Premieren nach der Sommerpause zum Teil ernüchternde Zahlen schlucken. Sie verloren allesamt Zuschauer: „Menschen bei Maischberger“ sahen am 30. August nur 1,18 Millionen Interessierte, „Anne Will“ am 31. August nur 1,22 Millionen, „Beckmann“ am 1. September 1,49 Millionen. Und Plasberg, mit „Hart aber fair“ bisher der bissigste ARD-Talker, wagte sich bei der Premiere am Montag um 21 Uhr an das für ihn untypische, „weiche“ Allerweltsthema „Meine, deine, unsere Kinder – wie verlogen ist das Patchwork-Glück?“ Und scheiterte: Nur 2,89 Millionen sahen zu (9,6 Prozent). Für die frühe Uhrzeit ein enttäuschender Wert. Bei den Jüngeren kam Plasberg gar nur auf indiskutable 3,1 Prozent.
"Am Ende entscheidet das Publikum"
Stell dir vor, es ist Talk – und niemand hört hin. Hat sich das Erste verzockt? Wird zu viel gequatscht im deutschen Fernsehen? Die ARD hat eigens Chefredakteur Thomas Baumann als „Talk-Koordinator“ installiert. Er soll darüber wachen, dass Peter Scholl-Latour und Claudia Roth nicht jeden Abend in der ARD sitzen. Man hat eigens eine Datenbank eingerichtet, mit der die Redaktionen Themen und Gäste untereinander abstimmen können. „Am Ende entscheidet das Publikum, ob es die fünf Sendungen annimmt“, sagte Baumann gestern. „Wir gehen fest davon aus.“
Im Herbst kommt Gottschalks "Tages-Show"
Es wäre eine herbe Niederlage für Herres, wenn die neue Talkschiene scheitert. Und im Herbst droht schon die nächste Baustelle: Dann muss die ARD Thomas Gottschalks werktägliche „Tages-Show“ ins Vorabendprogramm quetschen. Wieder wird sich das eher beständigkeitsorientierte ARD-Publikum an neue Sendeplätze gewöhnen müssen.