Ernst spricht von „einer Hölle aus Gewalt, Jähzorn, Angst und Einsamkeit“. Mit zwölf sei er mit einem Messer ins Bett gegangen – aus Angst, sein Vater könne ihn und die Mutter umbringen. Ernst beschreibt die Schreie der Mutter und sein Flehen, der Vater möge aufhören. Die Strafe für ihn seien erneut Prügel und Einsamkeit gewesen.
Immer wieder thematisiert Ernst diese Einsamkeit. Beschreibt, dass er nur wenige Freunde hatte. So erwähnt er einen türkischstämmigen Jungen, mit dem er sich in der ersten Klasse anfreundete. Als sein Vater das mitbekam, habe er gesagt, er soll nicht mit „Kanaken“ spielen.
Sein Zuhause wurde – so stellt es Ernst dar – irgendwann zu einer „feindlichen Umgebung“. Erst die Prügel, dann die Einsamkeit, so sei es immer gewesen. Dabei habe er sich stets ein normales Familienleben gewünscht. Aber so lange der Vater lebte, habe der ihm das nicht geben können. Während Kaplan die Passagen über die Gewalt von Ernsts Vater gegen seine Mutter verliest, kommen Ernst im Gerichtssaal die Tränen.
Irgendwann habe er von seinem Vater den Hass gegenüber Ausländern übernommen. „Es war für mich die einzige Gemeinsamkeit, die wir hatten“, verliest Kaplan die Stellungnahme Ernsts. Der Hass auf die Ausländer habe ihm, also Ernst, damals Halt gegeben. Kurz darauf griff er in Wiesbaden einen türkischen Imam an und verletzte diesen lebensgefährlich.
Ernst wurde zu einer Jugendstrafe verurteilt. Als die Mithäftlinge erfuhren, weshalb er seine Haftstrafe absitzt, hätten sie ihn bedroht.
Letztlich radikalisiert haben will sich Ernst aber erst später, während er in der JVA Kassel 2 einsaß. Er habe jemanden von der NPD kennengelernt, der habe ihn mit auf Demos genommen und zu Liederabenden, so seien die Kontakte zur Freien Kameradschaftsszene entstanden.
Antisemitismus habe er allerdings nicht nachvollziehen können. „Ich empfand mich nicht als Nazi.“ Seine Themen seien eher die Überfremdung und die Gewalt von Ausländern gewesen.
Immer wieder habe es aus der Kameradschaftsszene Anfeindungen gegen seine Frau gegeben, weil sie russischer Abstammung sei.
Das habe ihn 2009 endgültig zu der Entscheidung bewogen auszusteigen. „Ich wollte Teil der Gesellschaft werden.“ Er habe seinen beiden Kindern immer gesagt, sie sollen sich nicht an ihm orientieren, sondern an ihren Lehrern.
Dann habe er 2014 Markus H. an der Arbeit wieder getroffen. Der habe gefragt, ob er mit zum Schützenverein kommen wolle. Ernst – so schildert er es – habe das Bogenschießen als Ausgleich gesehen. Er habe H. auch von seinen Problemen berichtet. „H. wurde mein Mentor.“
H. habe die Gespräche gelenkt, die zunehmend politischer geworden seien. H. habe öfter davon gesprochen, dass man sich bewaffnen müsste. H. habe ihn radikalisiert und aufgehetzt. Wie ein Freund und Vater sei er gewesen. „H. war der Wortführer. H. gab den Ton an. Er sagte, was wir machen und wohin wir fahren. Aber er hat mich nie zuhause besucht, das hat mich geschmerzt.“
Mehrfach beschreibt Ernst diese Kränkung. „Aber ich war froh, ihn zu kennen. Er gab mir Halt.“ H. habe schließlich „eine Zielscheibe mit dem Gesicht von Frau Merkel gebastelt“. Auch von Lübcke habe er eine anfertigen wollen. Im Gegensatz zu Merkel sei Lübcke jemand, an den man rankommen könne.
H. habe Lübcke einen Volksverräter genannt. Als Kaplan diese Passagen verliest, verzieht der mutmaßliche Komplize im Gerichtssaal seine Mundwinkel zu einem abschätzigen Lachen. H. sitzt direkt vor Ernst.
Mehrfach seien – so Ernst in der Erklärung weiter – er und H. seit 2016 in Lübckes Wohnort Istha gewesen, um die Umgebung auszukundschaften. Mal gemeinsam, mal allein, wie Ernst auch später im Prozess noch einmal mündlich erläutert. Am Tattag seien beide gemeinsam mit Ernsts Auto nach Istha gefahren. Die Waffe habe er in eine Tasche gepackt. Sie hätten aus der Situation heraus entscheiden wollen. „Der Einsatz der Waffe war eine Alternative.“
Schließlich kam es zur Tat, über die Ernst nun also wieder sagt: „Ich habe geschossen.“ Abschließend richtet er sich in seinem Geständnis an die Familie Lübcke. Er spricht von der Unentschuldbarkeit seiner Tat, dass er sie nicht rückgängig machen könne, auch wenn er es gerne würde. Mehrmals sagt er: „Es tut mir leid.“
Er sei bereit, den Hinterbliebenen alle Fragen zu beantworten. Außerdem bat er, die Möglichkeit zu bekommen, an einem Aussteigerprogramm teilnehmen zu können. „Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt.“ Zu seiner 16-jährigen Tochter hat Ernst seit der Tat keinen Kontakt. Er könne es verstehen. „Aber ich hoffe, dass sie mir eines Tages verzeiht.“
Erstmeldung vom Mittwoch, 05.08.2020, um 12.14 Uhr: Kassel/Frankfurt - Stephan Ernst (46) hat am Mittwoch (05.08.2020) vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt gestanden, dass er den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 erschossen hat. Das Geständnis hat sein Verteidiger Mustafa Kaplan verlesen. Ernst ließ auch erklären, dass sein mutmaßlicher Komplize Markus H. bei der Tat in Wolfhagen-Istha (Landkreis Kassel) anwesend war. Er habe zusammen mit H. die Tat geplant.
Zudem entschuldigte sich Ernst über seinen Verteidiger bei der Familie Lübcke, die im Gerichtssaal anwesend ist. Während Kaplan die Einlassung verlas, liefen Ernst immer wieder die Tränen. Der mutmaßliche Lübcke-Mörder kündigte an, dass er für weitere Fragen bereit sei.
Bereits vor einem Jahr hatte Ernst in einem ersten Geständnis eingeräumt, den Kasseler Regierungspräsidenten erschossen zu haben. Später zog er dieses Geständnis zurück und behauptete, Markus H. sei der Schütze gewesen. (Kathrin Meyer)
Erst vor wenigen Tagen war ein Video mit dem Geständnis des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan Ernst auf der Videoplattform Youtube aufgetaucht. Dort ist zu sehen, wie er zeigt, wie genau er auf Walter Lübckegeschossen hat. Die Veröffentlichung des Videos wurde kontrovers dikutiert - auch Stephan Ernts' Anwalt übte scharfe Kritik an der Veröffentlichung.
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