Ins Berufsleben startete Sina Best mit einer Ausbildung im Rathaus ihrer Heimatgemeinde Vöhl, sie lernte den Beruf der Verwaltungsfachangestellten. Schon damals sei es so gewesen: „Die Frauen kümmern sich um Standes- und Einwohnermeldeamt, die anderen Aufgaben übernehmen die Männer.“ Ihr Ehrgeiz sei geweckt worden, als sie beim Zweckverband Naturpark Kellerwald-Edersee arbeitete. Eine Kollegin dort habe sie sehr gefördert, sie wurde schnell stellvertretende Büroleiterin. „Das machte mir Spaß, ich wollte etwas bewegen.“
Doch schnell wurde sie in die Schranken verwiesen. Einmal war sie als Vertreterin bei einer Vorstandssitzung dabei, zusammen mit Bürgermeistern und Landräten. Als etwas sachlich falsches erwähnt wurde, habe sie kurzerhand das Wort ergriffen und die Aussage korrigiert. Der damalige Vorsitzende habe ihr dann gleich „einen verbraten. Er hat gesagt: Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden.“ Doch sie wollte mitreden – und ging deshalb in die Politik.
2016 wurde sie für die SPD in den Kreistag gewählt, beruflich war sie zu dieser Zeit längst Kämmerin in Edertal. Deshalb sei schnell klar gewesen, dass sie finanzpolitische Sprecherin der Fraktion werden sollte. Nachdem sie ihre erste Haushaltsrede gehalten hatte, wurde ihr zugetragen, was in anderen Fraktionen während des Vortrags gesagt wurde: „Wenigstens ist sie nett anzusehen.“
Als von der Lichtenfelser FDP die Frage kam, ob sie sich vorstellen könne, für das Bürgermeisteramt zu kandidieren, „habe ich schnell Ja gesagt. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Ich dachte, dass das eine Kommune ist, mit der es klappen könnte.“ Sie trat als unabhängig an, „denn das Bürgermeisteramt hat für mich nichts mit Parteipolitik zu tun“.
Bis zur Wahl habe es Bemerkungen und Fragen gegeben wie „Wollen Sie denn keine Kinder? Und kann man den Job mit Kindern schaffen?“ Als es in die Stichwahlphase ging, „wurde ich von Anfeindungen und Diskriminierungen überrollt, auch von Frauen.“ Oft sei sie als „Mäken“ bezeichnet worden, auch ihr Alter sei Thema gewesen. „Es waren viele kleine Nadelstiche, irgendwann war ich fix und fertig.“ Die folgende Niederlage „hat etwas mit mir gemacht“. Doch aus dem gesamten Landkreis habe sie Briefe und Mails bekommen, die ihr Mut gemacht hätten, auch das Ergebnis der Kommunalwahl kurz darauf habe ihr Rückenwind gegeben. „Ich dachte, dass mich wohl doch nicht alle hassen, weil ich eine Frau bin.“
Als sie die Gudensberger SPD gefragt habe, ob sie für die Bürgermeisterwahl kandidieren wolle, habe sie dennoch lange überlegt. „Ich war unsicher, musste meine Angst überwinden“, sagt die 34-Jährige. Doch beim Besuch der Stadt sei das Herz schnell übergesprungen. Ganz genau habe sie sich vorherige Wahlen angeschaut, die Wählerstruktur analysiert und entschieden: Das passt. Dabei habe sie sich auch gefragt, was sie sich gedacht habe, in Lichtenfels zu kandidieren. „Das konnte nicht klappen,“ sagt sie heute. Fragen zum Thema Mutterschaft und Frau sein habe es auch im Wahlkampf in Gudensberg gegeben, „aber nicht so anklagend und nicht öffentlich“.
In der Stichwahl setzte sich Sina Best durch, am 25. Februar trat sie ihr Amt an. Seither habe es nie Misstöne gegeben. Und fällt doch mal ein Satz zu ihrem Alter oder ihrem Aussehen, macht sie es wie immer: Sie bietet Paroli.
Jungen Frauen, die in die Politik wollen, rät sie, ein gutes Netzwerk aufzubauen und ein bis zwei gute Berater zu haben, „die den Rücken stärken und Mut geben“.
Rechtsanwältin Annika Seebach: „Am Ende trage ich die Verantwortung“
Die Juristerei hat Annika Seebach als Männerwelt kennengelernt. Bevor sie ihre eigene Kanzlei in Kassel gründete, arbeitete sie in einer Kanzlei, in der es nur männliche Anwälte gab. Gestört hat die gebürtige Bad Arolserin das allerdings nie.
Ob sie es als Frau manchmal schwerer hatte auf dem Weg zur Anwältin? „Die Opferrolle ist nicht meine“, sagt die 36-Jährige gleich. „Ich denke, auch Männer kommen an schwierige Punkte.“ Immer gebe es Höhen und Tiefen, das sei sicher für beide Geschlechter so. „Ich bin gerne Frau“, sagt die Fachanwältin für Erbrecht. Die Führungsrolle sei allerdings nicht geplant gewesen. „Das hat sich ergeben.“
Ihre Mutter habe ihr stets eingebläut, unabhängig von Männern zu sein, sagt sie. Trotzdem habe sie sich vor dem Schritt in die Selbstständigkeit manches Mal gefragt: „Kann ich das alles wuppen?“ Mit ihrem Ehemann, der Unternehmer ist, habe sie sich ausgetauscht, er habe sie bestärkt. Etwas mehr als drei Jahre ist es nun her, dass sie Seebach, Frey & Partner gründete. Auch wenn ein Namenspartner auftaucht – die Kanzlei gehört ihr. Plötzlich sei damit auch eine neue Rolle auf sie zugekommen, sie war nicht mehr ausschließlich Juristin. Wirtschaftliches Denken habe man im Studium allerdings nicht gelernt.
Neben Annika Seebach – die eine der jüngsten Notarinnen Hessens ist – gibt es mittlerweile drei weitere Rechtsanwälte im Team, zudem sechs Mitarbeiterinnen. Als Chefin sei sie sehr locker, alle würden sich duzen und sie fordere Feedback von den Kollegen ein. Zusammengeschweißt habe vor allem die erste Zeit, „wir sind sehr eng. Aber am Ende trage ich die Verantwortung und es muss laufen.“
Dass sie überhaupt Juristin wurde, geht auf eine negative Erfahrung zurück. Nach dem Abitur flog sie nach New York, arbeitete als Au-pair-Mädchen in einer Familie, die schrecklich mit ihr umgegangen sei. „Damals dachte ich, dass ich mich zwar körperlich nicht wehren kann, aber ich kann meine Interessen vertreten. Ich wollte mich nie wieder so hilflos fühlen.“ Im Referendariat kam sie dann zurück in die US-Metropole, arbeitete einige Monate in einer großen Anwaltskanzlei mit.
Mittlerweile vertritt sie nicht nur die Interessen ihrer Mandanten. Eines ihrer Ziele ist es, mehr junge Frauen für die Anwaltschaft zu begeistern. Zum Weltfrauentag hatte sie schon einmal unter dem Motto „Giva a girl a robe“ zum Kennenlernen des Berufs in ihre Kanzlei eingeladen, mehr als 20 junge Frauen waren gekommen. „Ich will zeigen, dass der Beruf vielfältig und toll ist“, sagt Seebach. Auch nächstes Jahr zum Weltfrauentag ist wieder eine Veranstaltung geplant.
Die Politik sieht sie beim Thema Mutterschaft in der Pflicht. Für selbstständige Frauen sei die Mutterrolle mitunter schwierig, schließlich müssten auch in der Elternzeit Gehälter und Miete gezahlt werden. In ihrer Kanzlei gehen die weiblichen Kollegen locker mit dem Thema Muttersein um: „Wir kommunizieren das offen untereinander. Es sollte generell zur Normalität werden, dass man darüber spricht.“ Mit der Kanzlei will sie bewusst starre Konstrukte aufbrechen.
Dass die Karriere allerdings nicht immer nur geradeaus geht, das beschreibt sie auch im September bei einem Besuch an ihrem ehemaligen Gymnasium, der Christian-Rauch-Schule in Bad Arolsen. Von dort sei sie eingeladen worden, um über ihren Werdegang zu sprechen.
Jungen Frauen, die in die Juristerei streben, rät sie, sich zu positionieren und taff zu sein. Wer das nicht sei, könne das lernen. „Sie sollten sich durchsetzen und auch einfordern.“ Manches Mal sei es auch nötig, ein paar Schritte zurückgehen – „um Anlauf zu nehmen“, sagt sie.
Sie selbst hat fürs Erste mit der eigenen Kanzlei ihr Ziel erreicht. Doch möglicherweise könnte es irgendwann sogar eine Niederlassung von Seebach, Frey & Partner geben. „Think big“, sagt die Juristin. „Denke groß.“
Chefärztin Dr. Elisabeth Pryss: „Ich konnte oft einen Tacken mehr als meine Kollegen“
„Lange Zeit habe ich nur mit Männern zusammengearbeitet“, sagt Dr. Elisabeth Pryss. Dass sie mitunter als einzige Frau einen weißen Kittel trug, war für sie selbst nie etwas Besonderes. Seit fast zehn Jahren ist sie nun Chefärztin der Inneren Abteilung am Kreiskrankenhaus in Frankenberg.
Eine Karriereplanung habe sie allerdings nie gehabt, sagt die Kardiologin. Am Ende habe sie einfach mal testen wollen, ob sie eine Chance als Chefärztin hatte. Und die hatte sie: „Ich konnte aus drei Stellen auswählen.“
Am Anfang stand zunächst die Ausbildung zur Krankenschwester. Die Arbeit gefiel ihr, weiterkommen wollte sie dennoch. 1982 begann sie das Medizinstudium in Berlin, das sie durch die parallele Arbeit als Krankenschwester finanzierte. Zwei Mal ging sie für Hospitationen ins Ausland, nach Großbritannien und Australien. Nach dem Studium blieb sie in Berlin. „Doch der Konkurrenzdruck um eine Stelle war ungeheuer groß“, erinnert sie sich. „Viele wollten in Berlin bleiben.“ Im Jüdischen Krankenhaus bekam die junge Ärztin schließlich einen Job. Wahrscheinlich hatte das, so vermutet sie, auch damit zu tun, dass sie nach dem Abitur ein Jahr in Israel war, wo sie in zwei Kibbuzm arbeitete.
Als es irgendwann darum ging, dass sie an dem Krankenhaus Oberärztin werden konnte, „wurde es unangenehm. Es gab deutliche Ausbremsversuche, aber alles unter vier Augen. Das Ziel war, mich klein zu halten.“ Doch dieses Verhalten, nimmt sie an, gibt es auch unter männlichen Ärzten. Sie hält es für „Kraftverschwendung“, in den Kategorien Frau und Mann zu denken. Schließlich habe die Qualifikation den Ausschlag gegeben, sie wurde Oberärztin. „Ich konnte oft einen kleinen Tacken mehr als meine Kollegen.“
2009 wechselte sie als leitende Oberärztin ans Kreiskrankenhaus Prignitz in Brandenburg, arbeitete erstmals unter einer Frau, mit der sie zusammen eine kardiologische Abteilung aufbaute. „Dass dort eine Frau Chefin war, war nie Thema“, sagt Elisabeth Pryss. Sie selbst bildete sich weiter, machte an der Universität Erlangen-Nürnberg 2011 den Master of Health Business Administration. Und schließlich stellte sie sich die Frage, ob sie wohl eine Chance hätte auf einen Posten als Chefärztin. Bewusst entschied sie sich dann bei den Angeboten für das Frankenberger Kreiskrankenhaus, das nahe ihrer Heimatstadt Medebach liegt.
Angehenden Medizinerinnen rät die 64-Jährige, sich nicht fremdsteuern zu lassen, auch wenn die Stimmen von außen manchmal laut seien. „Man sollte machen, worauf man Lust hat und woran das Herz hängt.“ Schwierige Zeiten müsse man auch durchstehen, Höhen und Tiefen gebe es immer.
Wichtig sei, autark zu sein, bei sich zu bleiben und einen Ort zu haben, an dem man im Privaten zur Ruhe kommen könne, sagt die Chefärztin. Auch ohne Unterstützer gehe es nicht. Bei ihr war das stets ihr Ehemann, zu Berliner Zeiten auch ein vorgesetzter Oberarzt, der sie förderte. „Man braucht immer einen Vertrauten, der einen stützt.“ jj