Mit der Bahn durchs Riesenreich China

Wer in China mehr sehen will als die Hauptstadt und die große Mauer, musste für eine Rundreise in den Flieger steigen. Doch es geht auch anders: Karl-Heinz Dix ist in China auf dem Boden geblieben.
Doch Chinas Eisenbahnnetz wird immer dichter und die Züge immer schneller, so dass die ersten Veranstalter ihre Gäste lieber mit dem Zug fahren lassen.
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Noch vor einigen Jahren quälten sich überfüllte Bummelzüge durch China. Der Schienenverkehr war so rückständig, dass er ein Paradies für europäische Eisenbahnfreunde war, weil sie hier noch regelmäßig Dampfloks vor Güter- und Personenzügen zu Gesicht bekamen. Doch kaum ein Land modernisiert sich so rasch wie das rote Riesenreich: 42 Schnellfahrstrecken mit Hochgeschwindigkeitszügen verbinden heute einige der größten Städte.
Überhaupt hat sich in Sachen öffentlicher Nahverkehr viel getan: Vor sechs Jahren fuhr ich das letzte Mal vom Pekinger Flughafen ins Zentrum. Trotz der sechsspurigen Schnellstraßen brauchte der Bus damals rund eine Stunde. Jetzt schafft es eine moderne S-Bahn in 25 Minuten. Für die Olympischen Spiele 2008 hat die Regierung Milliarden investiert. Auch in eine automatische, fahrerlose Schnellbahn, zu der man nur nach Einschieben einer Magnetkarte am Drehkreuz gelangt. Diese Karte sollte man tunlichst aufheben – ohne sie kann man den Bahnhof am Ziel nicht verlassen.
„Züge der Harmonie“
Lautlos und schnell pendeln die so genannten „People Mover“ alle zehn Minuten ins Herz der Stadt. Der Weg zur Stadtbahn ist gut beschildert, die Züge sind blitzsauber und klimatisiert. Nach dem Hauptstadt-Programm mit den obligatorischen Besichtigungen steht ein Ortswechsel an.

Die nächste Etappe unserer Rundreise ist Zhengzhou. Für die knapp 800 Kilometer lange Strecke benötigt der Zug fünf Stunden und ist damit fast so schnell wie ein deutscher ICE. In China heißen die High Speed Trains „Züge der Harmonie“. Das sollte man zumindest gegenüber Chinesen nicht mit den „Stätten der inneren Harmonie“ verwechseln: Das sind die Toiletten. Fahrkarten gibt es noch kurz vor Abfahrt des Zuges zu kaufen. Das gesamte Prozedere ist aber recht kompliziert: Nach den obligatorischen Gepäckkontrollen muss man an Hand der Zugnummer (auch auf Englisch) endlose Wege zum richtigen Wartesaal laufen – ähnlich wie zu den Gates am Airport.
Hier gibt’s Zeitungen, Nudeln und chinesische Spezialitäten wie süß eingelegte Hühnerfüße. Erst 15 Minuten vor Abfahrt erscheint der Aufruf für „unseren“ D 133 am Display und die Bahnsteigsperren werden geöffnet. Dann stürmen hunderte Menschen gleichzeitig zum Gleis, als wäre es der allerletzte Zug, der fährt. Von wegen Harmonie. Von wegen Rücksicht. Gott sei Dank gibt es Platzkarten.
Der Zug ist blitzsauber – es fährt immer eine Putzfrau mit. Zumindest in der ersten Klasse sind die Sitze bequem – in der zweiten Klasse (fünf Sitze pro Reihe) sollte man keine XXL-Figur (wie der Autor) haben. Unser Zug der Harmonie rollt teilweise mit Tempo 250 durchs flache Land – absolut ruhig.
„Stätten der inneren Harmonie“
Nur wenige aus unserer „Langnasen“-Gruppe (chinesisch für westliche Besucher) wagen sich auf die Toiletten – das Loch im Boden mit Vakuum-Pumpe ist uns doch nicht so ganz vertraut. Irgendwann finde ich heraus, dass der Zug aber auch zwei „normale“, also westliche Toiletten aus Edelstahl hat. „Viele Chinesen haben solche WCs noch nie gesehen. „Es gingen viele kaputt, weil sich die Besucher einfach auf die Porzellan-Schüsseln setzten“, erzählt unser Reiseleiter.
In allen Schnellzügen fährt man auf Wunsch vorwärts: Mit einem kleinen Fußhebel kann man die Sitze einfach in Fahrtrichtung stellen. Bei der Ankunft in Zhengzhou merken wir, wie angenehm die Zugfahrt ist: Wir sind mitten im Zentrum der Metropole, gehen gleich beim Bahnhof essen und fahren dann entspannt mit dem Bus zu den Shaolin-Klöstern, um das spektakuläre Kung-Fu-Training zu verfolgen und am nächsten Morgen die buddhistischen Longmen-Grotten aufzusuchen.
Unser Express nach Wuhan ist genauso pünktlich und zuverlässig wie unser erster Zug. Auf unserer Fahrt nach Shanghai erzählt unser Reiseleiter Herr Zenn, der aus Wuhan stammt, aus seiner Jugend. „Heute braucht der Schnellzug für 900 Kilometer fünf Stunden. Das ist ein Traum. In meiner Studentenzeit war ich 20 Stunden mit dem Zug unterwegs. Viele Menschen mussten die 20 Stunden stehen.“ Und seine Augen leuchten, als er erzählt, dass in diesem Jahr noch schnellere Züge mit Tempo 350 die 1400 Kilometer in fast fünf Stunden von Peking nach Shanghai fahren werden. Dass sich heute noch jemand für Dampfzüge interessiert, kann er nicht verstehen…
Trotzdem ist Herr Zenn kein absoluter Technik-Freak. Als wir im Stadtteil Pudong in den in Deutschland viel gelobten Transrapid umsteigen, verfinstert sich seine Miene: „Er ist zu teuer, funktioniert nicht immer und niemand will damit fahren. Den hat uns die deutsche Bundesregierung eingebrockt“, ärgert er sich.
In der Tat: Fast niemand sitzt im Zug, um die 30 Kilometer in rund zwölf Minuten zum Flughafen Pudong zurückzulegen. Und das, obwohl der Fahrpreis von umgerechnet zehn auf fünf Euro pro einfacher Fahrt gesenkt wurde. Deshalb fährt das hochgelobte Projekt – um Energie einzusparen – meist auch nur Tempo 300 statt 450 km/h und auch nur noch von sieben bis 21 Uhr.
Karl-Heinz Dix
REISEINFOS ZU CHINA
REISEZIEL Die Volksrepublik China hat rund 1,33 Milliarden Einwohner, die auf einer Fläche von etwa 9,5 Millionen Quadratkilometern leben (zum Vergleich: Europa hat eine Fläche von etwa 10 Millionen Quadratkilometern und rund 700 Millionen Einwohner). Es gibt fast 100 Städte mit über 5 Millionen Einwohnern.
EISENBAHN Chinas Bahnnetz gehört mit rund 80 000 Kilometern zu den größten Streckennetzen der Welt. Im kommenden Jahr soll die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Shanghai in Verbindung genommen werden, die die knapp 1400 Kilometer lange Strecke in vier Stunden bewältigt.
ANGEBOTE Marco-Polo-Reisen bietet mehrere China-Reisen mit der Bahn an: „Erlebnis Reich der Mitte“ (15 Tage) startet in Peking und führt über Shanghai mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Wuhan. Abschluss ist eine dreitägige Yangze-Kreuzfahrt. Die Tour ist ab 1199 Euro buchbar und umfasst Flüge, Rundreise, Übernachtungen in Vier-Sterne-Hotels. „Marco Polos Highlights 2010“ (15 Tage) führt mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug von Peking nach Taiyuan, weiter nach Pingyao und über Xian und Guilin nach Shanghai. Sie ist ab 1299 Euro buchbar und umfasst Flüge, Rundreise, Übernachtungen in Vier-Sterne-Hotels. Buchung unter der kostenfreien Telefonnummer 00 800-44 01 44 01, im Reisebüro oder im Internet unter www.marco-polo-reisen.de.
ÜBERNACHTEN Das Jin Jiang Hotel in Shanghai ist ein stilvoller Hotelkomplex von drei Gebäuden, von denen das erste Hochhaus bereits 1925 gebaut wurde. Zwei kleine Grünanlagen im Inneren lassen sich den Urlauber vom Großstadt-Lärm erholen. In der Nähe befinden sich auch mehrere gute Einkaufsstraßen (deren Geschäfte allerdings teilweise westliches Preisniveau haben).
SEHENSWERT LUOYANG: Die alte Kaiserstadt ist heute eine gesichtslose Zehn-Millionen-Einwohner-Stadt. In der Nähe liegen die Longmen-Grotten. Seit 493 nach Christus ließen Buddhisten hier Höhlen und Figuren in den Felsen schlagen. Das sollte Geld und Glück bringen.
SHAOLIN: Das berühmte Kloster liegt eineinhalb Fahrstunden von Zehenzhou entfernt. Hier lernen tausende Internatsschüler die Kampfsportart Kung Fu.
WUHAN: Die Brauereiakademie wurde von Bayern aufgebaut.
MEHR INFOS beim Fremdenverkehrsamt der VR China, Ilkenhansstraße 6, 60433 Frankfurt/Main, Tel. 069/520135, Internet: www.china-tourism.de.