Heiligabend 1914: Soldat aus Felsberg feierte mit polnischer Familie

Felsberg/Wabern. Wie erlebten Soldaten während des Ersten Weltkriegs das Weihnachtsfest? Das hat Valentin Weidemann (1886-1971), der erst in Wabern, später in Felsberg lebte, aufgeschrieben.
Bei Kriegsbeginn war Valentin Weidemann 28 Jahre alt und Vater einer Tochter. In einem Sanitätskorps versorgte er Verwundete in Belgien, Ostpreußen, Nordpolen, Westrussland und Frankreich. In einem Fotoalbum dokumentierte er seine Erlebnisse.
Eine doppelte Feier am Heiligabend 1914 - unter dieser Überschrift beschrieb er Weihnachten in seinem Quartier in Luchow in Polen. Eine schlichte Feier unter den Soldaten und Verwundeten und dann gemeinsam mit polnischen Familien.
Weidemann und die Sanitäter waren auf einem verwahrlosten Gutshof bei Familien einquartiert. Man richtete den Weihnachtsbaum her. „Wir hatten den Krieg vergessen”, schreibt Weidemann, „es war die Arbeit, die man in der Heimat kennt und freudigen Herzens getan hat”.
Den Augenblick, als die bärtigen Männer im schmutzigen Feldgrau den festlich geschmückten Raum betraten, beschreibt Weidemann so: „Waren das noch Krieger? Nein, wie die kleinen Kinder blickten wir auf den strahlenden Baum. Es waren Augen voll Sehnsucht nach den Lieben am heimatlichen Weihnachtsbaum, Gesichter voll des heiligen Ernstes, die sich bewusst waren, auf blutgetränkter Erde, umgeben von den Grabhügeln eines Bruders, Schwagers oder Freundes die heilige Nacht zu begehen.“ Man sang Lieder, hörte die Weihnachtsgeschichte.

Weidemann schrieb nach Hause: „Nun waren wir mit Euch eins, ein Sternenhimmel, ein Lied, eine Sehnsucht, ein Gedanke. Das Christkind hat uns vereint und unseren Herzen den Frieden gebracht.“ Mit heiliger Andacht, so Weidemann, lauschten die Soldaten den Worten eines jungen Predigers. Feuchte Augen seien der Beweis, „dass er uns allen aus der Seele sprach: Für Euch Lieben daheim, seid stark gegen den Feind und gegen Euch selbst und bringt ihnen den ewigen Frieden.“
„Stille Nacht“ und „Christ, der Retter ist da“ erklangen. Weidemann und seine vier Kameraden gingen abends in die gute Stube ihres Quartierwirts „Vater Panje“. Das Christbäumchen hing aus Platzgründen an der Decke. Eine zehnköpfige Familie wartete auf die „feindlichen“ Soldaten, die sie doch dulden mussten, schilderte Weidemann. Der Panje bekam von jedem der Kameraden eine Weihnachtszigarre, von Weidemann etwas Tabak. Die Matka und die Kinder erhielten Schokolade und Bonbons. Ein guter Tee mit Rum wurde getrunken. Die Soldaten sangen Lieder. Die Polen, schreibt Weidemann, verstanden die Worte nicht, aber sie fühlten, „wem unser Lied geweiht war.
Der Panje stand auf, schritt auf einen der Kameraden Weidemanns zu und bat ihn, ein Stück von der Gabe, die er in den Händen hielt, abzubrechen und auf der Zunge zergehen zu lassen. So ging er Reih um, bei seiner Familie tat er dasselbe: „Die Matka und die Kinder weinten, als ihnen der liebe Vater davon reichte.“ Es war gleichsam das Abendmahl, das er abhielt. Weidemann: „Der stille Panje hatte uns zu seiner Familie gerechnet. Ja, wir waren eine Familie unter dem Weihnachtsbaum. Das gegenseitige Misstrauen war verschwunden. Christ erschienen, uns zu versühnen. Konnten wir des Wortes Bedeutung deutlicher fühlen?“ Weihnachten im Kriege - „wir haben viel gelernt“, schreibt Weidemann.
Von Manfred Schaake