Melsunger Alfred Weigand berichtet über 50 Jahre als Rechtsanwalt

Der Melsunger Alfred Weigand ist heute seit 50 Jahren als Rechtsanwalt und Notar tätig. Darauf blickt er im Interview zurück.
Melsungen – Außer ihm sind das im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Kassel noch drei weitere Rechtsanwälte, teilt die Rechtsanwaltskammer Kassel mit. Im Interview blickt Weigand auf sein Berufsleben zurück.
Herr Weigand, was war das Kurioseste, das Sie in Ihren 50 Jahren als Rechtsanwalt erlebt haben?
Als junger Rechtsanwalt war ich als Zuhörer am Amtsgericht Melsungen, denn mein Termin kam erst danach. Ich habe festgestellt, dass der Rechtsanwalt schlief. Das bemerkten auch alle anderen Zuschauer und der Richter, als der Staatsanwalt seinen Strafantrag begründete.
Was passierte dann?
Der Richter fragte danach den Verteidiger, was er für seinen Mandanten fordert. Da hat der Rechtsanwalt die Augen aufgerissen und gesagt: Drei M. Da hat der Richter gefragt, was heißt denn drei M, drei Mark oder drei Monate. Ich stelle das anheim euer Ehren, sagte der Rechtsanwalt. Das war sein Schlusswort. Sein Mandant ist dann auch zu drei Monaten Fahrverbot verurteilt worden.
Welcher Fall ist Ihnen im Gedächtnis geblieben?
Ich habe kurz nach der Wiedervereinigung einen Berufskraftfahrer vertreten, der Baumstämme transportierte. Er hatte überholt. Dabei war ein Autofahrer auf seinen Lastwagen aufgefahren, wurde von den Stämmen getroffen und starb. Es wurde vermutet, dass mein Mandant nicht geblinkt hatte. Aber alle Zeugen widersprachen dem und sagten, die linke der drei Spuren sei frei gewesen, die hätte der Autofahrer auch nutzen können. Mein Mandant wurde freigesprochen. Die Angehörigen des Verunglückten hatten aber dafür gesorgt, dass eine sehr unangenehme Stimmung in den Gerichtssaal gekommen war. Auch das Gericht hatte das bemerkt und kannte wohl auch einige der Angehörigen. Es rief die Polizei, die mich, meinen Mandanten und seine Angehörigen nach der Urteilsverkündung zu unseren Autos brachten, um zu vermeiden, dass uns etwas angetan wird. Es war ein seltsames Gefühl, so zum Parkplatz gebracht zu werden.
Wie können Sie als Rechtsanwalt jemanden verteidigen, der etwas getan hat, das Sie für verwerflich halten?
Unsere Rechtsordnung verlangt, dass auch beispielsweise ein Kinderschänder vor Gericht Anspruch auf einen Rechtsanwalt hat. Für uns Verteidiger ist das eine Pflichtaufgabe, die oft auch Überwindung kostet. Ein Kollege sagte, mein Kind ist genauso alt und hat das gleiche Geschlecht, wie das von meinem Mandanten misshandelte. Solche Fälle können sehr schwer und belastend sein, besonders wenn Bilder gezeigt und medizinische Gutachten erläutert werden. Es braucht Zeit, um damit fertig zu werden.
Was haben Sie Schönes erlebt?
Ich habe vor knapp 30 Jahren einen Mann bei seiner Scheidung vertreten. Es gab schon zwei Verhandlungstermine und ich kam zum dritten, bei dem die Scheidung verkündet werden sollte. Als ich ins Gericht kam, sah ich, wie mein Mandant auffallend mit seiner Frau redete. Auch ihre Rechtsanwältin machte schon komische Handbewegungen. Dann baten die beiden darum, den Scheidungsantrag zurückzunehmen. Soweit ich weiß, sind sie heute noch glücklich verheiratet.
Ein großes Thema im Verkehrsrecht war die Einführung der Gurtpflicht in den 1970er-Jahren. Wie oft hat Sie die beschäftigt?
Anfangs sehr viel. Die Einsicht, den Gurt anzulegen, kam vielen Verkehrsteilnehmern nicht von heute auf morgen. Das hat mindestens ein Jahr gedauert.
Wie oft hatten Sie mit Verfahren wegen Alkohol am Steuer zu tun?
Oft. Ich habe aber das Gefühl, dass es in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Wahrscheinlich, weil die Kontrollen und die Nachweisbarkeit besser und die Strafen härter geworden sind. Besonders ab 1,6 Promille ist die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis schwierig. Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung, auch Idiotentest genannt, hat eine sehr abschreckende Wirkung, weil sie für die Betroffenen extrem unangenehm ist.
Was gab es sonst noch für große Veränderungen?
Die Verfahren sind viel sachlicher geworden. Emotionale Ausbrüche, zum Beispiel, dass jemand schreit, kommt kaum noch vor.
Wie lange wollen Sie noch als Rechtsanwalt und Notar tätig bleiben?
Dieses Jahr auf jeden Fall noch. Eine entscheidende Rolle spielt meine Gesundheit. Wenn ich permanent krank bin, ergibt das keinen Sinn mehr. Zurzeit arbeite ich mit einer Drittel-Stelle, Vollzeit nur dann, wenn ich meinen Sohn vertrete. (Fabian Becker)
Das ist Alfred Weigand
Alfred Weigand (78) erhielt am 28. November 1972 die Zulassung als Rechtsanwalt. Danach folgte der Eintritt in die Melsunger Kanzlei von Dr. Ernst Weber und Heinz Grede. Weigand war seitdem als Rechtsanwalt und Notar tätig, mittlerweile als Notar außer Dienst. Einer seiner Schwerpunkte ist das Verkehrsrecht. Er war von 1981 bis 2007 Vorsitzender des Melsunger FV 08 und ist jetzt Ehrenvorsitzender. Für seine beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten erhielt er 1994 den Ehrenbrief des Landes Hessen. Der 78-jährige Melsunger ist verheiratet, hat zwei Kinder und einen Enkel.
Diese Altersgrenze gilt für Notare
Wer als Notar das 70. Lebensjahr vollendet, darf noch als Notar außer Dienst (a. D.) tätig sein, erklärt der Melsunger Rechtsanwalt und Notar a. D., Alfred Weigand. Das heißt, er darf noch Notare vertreten. Das tut der 78-Jährige für seinen Sohn Nils Weigand, der seit 2006 in derselben Kanzlei tätig ist, wie sein Vater.