Boris Johnson: „Partygate“-Bericht wirft Verantwortlichen Versagen vor
Seit Tagen wurde gerätselt, welche Informationen Ermittlerin Sue Gray über die Lockdown-Partys in der Downing Street erhalten hat. Nun weiß man mehr.
- Der britische Premierminister Boris Johnson* steht nach wie vor unter politischem Druck.
- Die Ergebnisse des Untersuchungsberichts zur „Partygate“-Affäre wurde dem Premier jetzt übergeben.
- Unterdessen treibt Johnson den Brexit* durch neue Gesetze weiter voran.
Update, 15.45 Uhr: Der interne Untersuchungsbericht zur „Partygate„-Affäre hat den Verantwortlichen im britischen Regierungssitz schwere Versäumnisse bei der Einhaltung von Regeln vorgeworfen. Die Verantwortlichen hätten es versäumt, sich an Standards zu halten, die zur Zeit des Corona-Lockdowns nicht nur von der Regierung, sondern von der gesamten Bevölkerung verlangt worden seien, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Bericht.
„Zumindest einige der fraglichen Versammlungen stellen ein schwerwiegendes Versäumnis dar, nicht nur die hohen Standards einzuhalten, die von denjenigen erwartet werden, die im Herzen der Regierung arbeiten, sondern auch die Standards, die von der gesamten britischen Bevölkerung zu dieser Zeit erwartet wurden“, stellte die Spitzenbeamtin Sue Gray fest.
Einige der Treffen hätten nicht stattfinden dürfen oder sich nicht in der Weise entwickeln dürfen, wie es letztlich geschah, betonte Gray. Sie forderte: „Aus diesen Ereignissen müssen wichtige Erkenntnisse gezogen werden, die sofort regierungsweit angegangen werden müssen.“ Damit müsse nicht auf das Ende der Polizeiermittlungen gewartet werden.

Boris Johnson: „Partygate“-Bericht an Premier ausgehändigt
Update vom Montag, 31.01.2022, 13.00 Uhr: Es hat lange gedauert, aber jetzt ist es wohl so weit: Nach tagelanger Verzögerung hat der britische Premierminister Boris Johnson Medienberichten zufolge den internen Untersuchungsbericht zur „Partygate“-Affäre erhalten. Die Spitzenbeamtin Sue Gray habe den Report übergeben, berichteten die Sender BBC und Sky News am Montag (31.01.2022). Ein Sprecher der zentralen Regierungsbehörde Cabinet Office sagte, Gray habe dem Premier ein Update zu ihren Ermittlungen bereitgestellt. Wie die Agentur PA unter Berufung auf Parlamentsquellen meldete, will sich Johnson noch am Montagnachmittag im Unterhaus äußern.
Medienberichte über zahlreiche Feiern im Regierungssitz hatten Johnson, der selbst an einigen Partys teilgenommen haben soll, erheblich unter Druck gesetzt. Kommt der Bericht zu dem Schluss, dass Corona-Regeln gebrochen wurden, droht Johnson ein parteiinternes Misstrauensvotum. Wegen der erwarteten Zensur des Berichts rechnet mittlerweile aber kaum noch jemand damit, dass nun schwere Vorwürfe gegen Johnson erhoben werden.
Boris Johnson lenkt von Partygate ab: Neues Gesetz soll „Brexit-Freiheiten“ fördern
Erstmeldung vom Montag, 31.01.2022, 09.12 Uhr: London – Ungeachtet der „Partygate“-Affäre ist der britische Premierminister Boris Johnson darum bemüht, so etwas wie Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Dabei spielt der Faktor Zeit Johnson in die Karten.
Ein Datum für die Veröffentlichung des „Partygate“-Untersuchungsberichts ist nach wie vor nicht bekannt. Allerdings wird der Report der Spitzenbeamtin Sue Gray aller Voraussicht nach zunächst nur in einer stark zensierten Version erscheinen. Das hängt mit Ermittlungen der Londoner Polizei zusammen. Die Behörde bat in einer Erklärung darum, „in dem Bericht des Cabinet Office nur minimalen Bezug auf die Veranstaltungen zu nehmen, die von der Metropolitan Police untersucht werden“. Damit solle „jegliche Voreingenommenheit“ bei den Ermittlungen verhindert werden.
Trotz „Partygate“: Boris Johnson will den Brexit vorantreiben
Boris Johnson will in dieser Woche versuchen, die Kontrolle über die Regierungsgeschäfte zurückzuerlangen. So wird damit gerechnet, dass am Montag (31.01.2022) ein Gesetz auf den Weg gebracht werden soll, das die Aufhebung von EU-Vorschriften und -Schutzbestimmungen für Großbritannien erleichtern soll.
Die britische Regierung will nach dem Brexit weiterhin gültige EU-Regeln künftig schneller ändern. Zum zweiten Jahrestag des offiziellen EU-Austritts erklärte Johnson, das geplante „Brexit-Freiheiten-Gesetz“ werde „die Vorteile des Brexits noch stärker zur Geltung bringen und sicherstellen, dass die Unternehmen mehr Geld für Investitionen, Innovationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgeben können“.
Das neue Gesetz soll demnach den „Sonderstatus des EU-Rechts in unserem Rechtsrahmen beenden und sicherstellen, dass wir veraltetes EU-Recht in Zukunft leichter ändern oder aufheben können.“ Nach Angaben der Regierung werden diese Reformen den britischen Unternehmen eine Milliarde Pfund (1,2 Milliarden Euro) an „Papierkram“ und „regulatorischer Belastung“ ersparen.
Dies geschieht, nachdem konservative Abgeordnete kritisiert hatten, dass die Regierung den Brexit nicht ausreichend genutzt habe. Außerdem wird erwartet, dass Johnson zusammen mit Außenministerin Liz Truss Anfang dieser Woche die Ukraine besucht, um den britischen Standpunkt im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland* zu erörtern.
Brexit: Britische Unternehmen beschweren sich über Arbeitskräftemangel
Großbritannien hatte die EU am 31. Januar 2020 offiziell verlassen. Gemäß dem Austrittsabkommen blieben die meisten EU-Regeln allerdings bis Anfang 2021 in Kraft, und gelten seitdem in Form nationaler Gesetze weiterhin. Die britische Regierung will die Regelungen selektiv ändern, um sich dadurch Vorteile beispielsweise in der Handelspolitik zu sichern. Dies führt jedoch zu Konflikten mit der EU, die nach wie vor der größte Markt für britische Firmen ist.
Bislang hat der Austritt aus der EU nach Ansicht von Fachleuten nicht die von Johnson versprochenen Vorteile erbracht. Stattdessen beschweren sich Unternehmen über mehr Bürokratie, Probleme in der Lieferkette sowie Arbeitskräftemangel.
Boris Johnson: Ex-Berater nennt Premier einen „kompletten Vollidioten“
Unabhängig davon rechnet man in Großbritannien* mit weiteren Enthüllungen zur „Partygate“-Affäre, auch nachdem Grays abgespeckter Bericht veröffentlicht ist. Einer von Johnsons schärfsten Kritikern, Dominic Cummings, sagte gegenüber dem Guardian am Sonntag (30.01.2022), dass es seine „Pflicht“ sei, Johnson als Premierminister loszuwerden. Cummings sprach davon, dies wäre ein Vorgang, der so nötig sei, „wie die Kanalisation zu reparieren“.
Cummings, der einst Johnsons Chefberater war, nannte seinen ehemaligen Chef einen „kompletten Vollidioten“, dessen einzige Beschäftigungen „das Anschauen von Landkarten“ war, um „den Bau von Dingen“ zu seinen eigenen Ehren anzuordnen. (skr/afp) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA