(Seiden-)Straße ins Nichts? Jetzt spürt China die Folgen von Ukraine-Krieg, Corona und Planlosigkeit

Xi Jinpings Außenpolitik ist ein „Schatten ihrer Selbst“, urteilen Experten. Gerade die „Neue Seidenstraße“ könnte zum Problem werden.
- Chinas „Neue Seidenstraße“ sorgt auch in Europa für Beunruhigung.
- Doch mittlerweile steckt das Projekt in Schwierigkeiten: Experten sehen wenig Plan dahinter - und so einige Risiken.
- Auch Corona und der Ukraine-Krieg haben Spuren an Xi Jinpings Großprojekt hinterlassen.
- Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 13. Februar 2023 das Magazin Foreign Policy.
Washington, D.C. - Fast ein Jahrzehnt nach ihrem Start scheint sich die Dynamik von Chinas weitreichender Belt and Road Initiative (BRI), auch bekannt als „Neue Seidenstraße“, zu verlangsamen. Die Kreditvergabe bricht ein und Projekte geraten ins Stocken. Das zwingt den chinesischen Präsidenten Xi Jinping dazu, die ins Trudeln geratene Initiative, die er einst als sein „Jahrhundertprojekt“ anpries, neu zu überdenken.
Chinas Seidenstraße vor Problemen? Viele Auslandskredite an klamme Partner
Nach der Vergabe von Hunderten von Milliarden Dollar ist Chinas Kreditvergabe für BRI-Projekte nach Einschätzung von Experten stark zurückgegangen. Das ist größtenteils auf die COVID-19-Pandemie und die wirtschaftliche Schwächung des Landes zurückzuführen. Die Unterstützung hat auch nachgelassen, weil die Partnerländer in Schulden ertrinken und bei den Projekten im wahrsten Sinne des Wortes Einbrüche entstehen. All das verstärkt die Unsicherheit über die Zukunft der auf lange Zeiträume ausgelegten Initiative. Im Jahr 2022 gingen 60 Prozent der chinesischen Auslandskredite an Kreditnehmer, die sich in einer finanziellen Notlage befanden, verglichen mit nur 5 Prozent im Jahr 2010, so Bradley Parks, der geschäftsführende Direktor der Forschungsgruppe AidData am College of William and Mary im US-Bundesstaat Virginia.
„Auf dem Höhepunkt wurde das Seidenstraßenprojekt als das Herzstück des wirtschaftlichen Engagements Chinas im Rest der Welt angesehen“, erklärt Scott Kennedy, Experte für chinesische Betriebswirtschaft am Center for Strategic and International Studies. Jetzt sei sie nur noch ein „Schatten ihrer selbst“, sagt er.
Xis „Marshallplan“ wirft Fragen auf - „Niemand weiß, was Peking bezweckt“
Xi Jinping lancierte die BRI im Jahr 2013 als ehrgeizige Infrastrukturentwicklungskampagne, die sich auf mehr als 140 Länder erstrecken und Chinas industrielle Überkapazitäten exportieren sollte. Außerdem sollte sie Chinas diplomatisches Gewicht erhöhen und seinen globalen Einfluss stärken. Angesichts seines Ausmaßes und seiner Tragweite wurde das Projekt von vielen als Chinas Version des Marshallplans bezeichnet – nur größer und mutiger. Pekings Visionen sind allerdings nach wie vor unklar, und das hat zu einer verstärkten Prüfung und Kontroverse über die Initiative und die damit verbundenen Verträge geführt.
„Niemand weiß mit Sicherheit, was Peking bezweckt“, sagt Michael Kugelman, stellvertretender Direktor des Asienprogramms am Wilson Center und Verfasser des „South Asia Brief“ von Foreign Policy. „Das hat dem Ganzen eine gewisse Mystik verliehen, die zu einem erheblichen Maß an Misstrauen geführt hat, insbesondere bei den Regierungen, die sich über den Aufstieg Chinas Sorgen machen.“
Anstelle einer glatten geopolitischen Kampagne beschreiben Forscher die BRI als ein dezentralisiertes Sammelsurium von Geschäften und Projekten, die alle lose unter dem gleichen Banner der Infrastrukturentwicklung fallen. Hong Zhang, die an der Harvard Kennedy School zur chinesischen Politik forscht, sagt, die neue Seidenstraße solle mehr als ein Slogan und nicht als ein Gesamtprogramm betrachtet werden. „Vieles geschah im Namen des Belt and Road-Projekts“, erklärt sie. „Aber Peking hat wenig Kontrolle über die Dinge, die vor Ort passieren.“
Ukraine-Krieg wirkt sich auch auf Chinas „Neue Seidenstraße“ aus
Die Kreditvergabe in China war bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 zurückgegangen. Ein Trend, den die Auswirkungen der Pandemie und die Schwächung der chinesischen Wirtschaft noch beschleunigten. Für viele Länder wurden chinesische Kredite auch schnell untragbar, insbesondere nachdem Russlands Einmarsch in der Ukraine die Preise auf dem Weltmarkt in die Höhe trieb, mit entsprechenden Rückwirkungen auf Pekings Kreditvergabepraxis.
Eines der eklatantesten Beispiele ist Sri Lanka, das 2022 im Zuge einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise einen Berg von Schulden nicht mehr bedienen konnte. Doch die Risse entstanden schon viel früher: Nachdem das Land bereits 2017 Schwierigkeiten hatte, Peking genug Geld zu geben, übertrug es die Rechte an einem strategisch wichtigen Hafen und schürte damit die Warnung vor den Gefahren der chinesischen Kreditvergabepraxis. In Pakistan, dessen Auslandsschulden zu fast einem Drittel in China liegen, kam es im Zusammenhang mit einem großen Hafenprojekt zu Protesten. Und in den letzten Wochen hat das hoch verschuldete Sambia mit China, seinem größten bilateralen Gläubiger, heftig um einen Umstrukturierungsplan gerungen.
Das Seidenstraßenprojekt ist „in eine schwierige Zeit geraten“, so Kugelman. „Ich denke, dass viele, viele Länder erkannt haben, dass sie einfach nicht den Luxus einer Wirtschaftsstruktur haben, die die Art von Krediten bedienen kann, die China schon so lange vergibt.“
„Chinesen haben Tragfähigkeit vieler dieser Kreditprojekte nicht durchdacht“
Zum Teil ist das auch der planlosen Durchführung des Projekts geschuldet. Um die Initiative voranzutreiben, konzentrierten sich viele chinesische Firmen so sehr auf die Verwaltung von Projekten, dass Fragen der wirtschaftlichen Machbarkeit und des Risikos keine Priorität hatten, sagt Yun Sun, Leiterin des China-Programms am Stimson Center.
„Die Chinesen haben die wirtschaftliche Tragfähigkeit vieler dieser Kreditprojekte nicht durchdacht, weil ihre Priorität darin bestand, die neue Seidenstraße zu verherrlichen und Projekte unter allen Umständen anzugehen, um sicherzustellen, dass sie weltweit auch tatsächlich zustande kommt“, erklärt sie.
Als Sri Lanka unter seinen Schulden zusammenbrach, gewährte China dem Land Anfang Februar offiziell ein zweijähriges Schuldenmoratorium. Und das ist nur eines von Dutzenden von Ländern, denen nun zumindest ein teilweiser Aufschub gewährt wurde. Im Jahr 2020 hat China die Rückzahlung von Schulden für 77 Länder aufgeschoben. Aber das hat auch dazu geführt, dass chinesische Kreditgeber im Risiko schwimmen, so Parks, was Peking in eine prekäre wirtschaftliche Lage bringt.
„Sie sind in einer Art Brandbekämpfungsmodus“, sagt Parks. „Sie sind offen gesagt schlecht gerüstet für die Herausforderung, mit der sie jetzt konfrontiert sind, weil sie keine lange Geschichte als Kreditgeber in Krisenzeiten haben.“
EU will China kontern - hinterlässt aber wenig Eindruck auf der Weltbühne
Dennoch hat Peking vielen Länder, die nur wenige andere Möglichkeiten haben, eine Menge zu bieten. Bangladesch zum Beispiel hat eine von China finanzierte Investitionsoffensive in die Infrastruktur unternommen, die sehr populär war, so Kugelman. Vor allem in Lateinamerika hat China nach Angaben des Wall Street Journals neue Wege beschritten und seine Investitionen ausgeweitet.
Im Bestreben, Chinas wachsenden Einfluss durch die neue Seidenstraße zu bekämpfen, haben viele westliche Länder versucht, ihre eigenen alternativen Entwicklungsinitiativen anzubieten - allerdings mit wenig Erfolg. Bis 2027 wollen die Vereinigten Staaten und die G-7-Staaten rund 600 Milliarden Dollar in ihre sogenannte „Partnership for Global Infrastructure and Investment“, eine Neuauflage der Kampagne „Build Back Better World“, die sie 2021 ins Leben riefen. Obwohl die 300-Milliarden-Euro-Antwort der Europäischen Union auf die neue Seidenstraße, das so genannte Global Gateway, vor mehr als einem Jahr ins Leben gerufen wurde, hat sie auf der Weltbühne keinen großen Eindruck hinterlassen.
„Um ganz offen zu sein: Ich glaube nicht, dass irgendein Land, ob die USA oder eine andere Nation, dem, was China mit seinen Infrastrukturinvestitionen erreicht hat, das Wasser reichen kann“, so Kugelman. „Sie hat inzwischen in so vielen Teilen der Welt tiefe Wurzeln geschlagen.“
China will Strategie anpassen - doch die Seidenstraße ist zu stark mit Xi verknüpft
Peking scheint nun seine Strategie anzupassen und seine Rhetorik in Bezug auf die Möglichkeiten der neuen Seidenstraße zu relativieren. Der Fokus scheint zunehmend auf kleineren Projekten zu liegen und der Kurs wird geändert, indem schuldengeplagten Ländern Notkredite angeboten werden. 2021 kündigte Xi auch eine Globale Entwicklungsinitiative (GDI) an, ein kleines und vage definiertes Programm, das Chinas Position als eines der Entwicklungsländer der Welt betont und sich auf Bildung, saubere Energie und Armut konzentriert – alles in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Um das GDI-Programm voranzubringen, hat der chinesische Außenminister Wang Yi auf eine Zusammenarbeit mit der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank gedrängt. Das GDI spiegelt einen eher multilateralen Ansatz für die Entwicklung wider - möglicherweise ein Zeichen für Pekings Bestreben, seine Strategie langfristig zu diversifizieren, so Sun vom Stimson Center.
Parks glaubt, dass das GDI-Programm lediglich ein Versuch sein könnte, die Belt and Road Initiative angesichts der zunehmenden Kritik umzubenennen. „Ich glaube, das ist alles nur Schall und Rauch“, sagt er.
Doch trotz aller Probleme sollte man nicht erwarten, dass Peking die neue Seidenstraße oder die ihr zugrunde liegenden Ziele aufgibt, denn sie ist eng mit Xis Person verknüpft. Im Jahr 2017 wurde die Initiative sogar in der Parteisatzung verankert. „Offiziell würde die chinesische Regierung niemals zugeben, dass die Belt and Road Initiative ein Fehler war, oder dass die Art und Weise, wie sie an die neue Seidenstraße herangegangen sind, ein Fehler war“, sagt Zhang. „Das wird nicht passieren, weil die Belt and Road Initiative so eng mit Xi Jinpings persönlichem politischen Erbe verbunden ist.“
Von Christina Lu
Christina Lu ist Reporterin bei Foreign Policy. Twitter: @christinafei
Dieser Artikel war zuerst am 13. Februar 2023 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
