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Deutsche Abgeordnete warnen vor Taiwan-Eskalation: „Chinas Drohungen werden handfester und deutlicher”

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Von: Sven Hauberg

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Der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch und Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen in Taipeh.
Der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch und die anderen Mitglieder der Bundestagsdelegation trafen in Taipeh mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen zusammen. © Taiwan Presidential Office/dpa

Erstmals seit Beginn der Pandemie haben deutsche Bundestagsabgeordnete Taiwan besucht. China kritisierte die Reise scharf.

München/Taipeh – Die Reaktion aus China ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war die Delegation des Deutschen Bundestags in Taiwans Hauptstadt Taipeh gelandet, meldete sich in Peking ein Sprecher des Außenministeriums zu Wort. Die deutschen Parlamentarier müssten sich an den „Ein-China-Grundsatz“ halten und ihre Interaktionen mit den „separatistischen Unabhängigkeitskräften“ in Taiwan „sofort einstellen“, tönte es am Sonntag aus Peking.

China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und versucht, jeden Kontakt der Regierung des demokratischen Landes mit ausländischen Politikerinnen und Politikern zu unterbinden. Dass die Drohungen aus Peking allerdings meist ungehört verhallen, zeigte sich in den vergangenen Monaten so deutlich wie lange nicht mehr. Nachdem die meisten Corona-Reisebeschränkungen gefallen waren, gab sich in Taipeh zuletzt eine ausländische Delegation nach der anderen die Klinke in die Hand. Nun waren aus Deutschland sechs Abgeordnete des „Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipei“ nach Taiwan gereist, unter Führung von Klaus-Peter Willsch.

Der CDU-Politiker wies am Donnerstag kurz vor dem Heimflug die Drohungen aus Peking zurück. Chinas Reaktion sei „wesentlich drastischer“ als bei früheren Besuchen ausgefallen, sagte Willsch auf einer Pressekonferenz in Taipeh. „Das finde ich unangemessen.“ Der Besuch der Parlamentariergruppe sei etwas völlig Selbstverständliches, zumal Taiwan und Deutschland „Wertepartner“ seien, so Willsch weiter.

Deutschland und Taiwan: Politiker streben stärkere Zusammenarbeit an

Die deutsche Delegation hatte sich in den vergangenen Tagen mit mehreren taiwanischen Spitzenpolitikern getroffen, darunter Präsidentin Tsai Ing-wen. Tsai dankte den Abgeordneten bei einem Gespräch im Präsidentenpalast in Taipeh für die deutsche Unterstützung bei dem Streben Taiwans nach einer Mitarbeit in mehreren internationalen Organisationen. So möchte die Regierung in Taipeh seit Jahren in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) mitwirken – ein Ansinnen, das Deutschland befürwortet, Peking aber vehement ablehnt.

Auf der abschließenden Pressekonferenz betonten alle Parlamentarier, dass Deutschland in Zukunft verstärkt mit Taiwan zusammenarbeiten müsse. Der FDP-Politiker Frank Schäffler nannte als Beispiele ein mögliches Investitionsabkommen mit Taipeh sowie ein Freihandelsabkommen auf EU-Ebene. „Das halte ich für erstrebenswert“, so Schäffler. Im Verhältnis zu Taiwan sei es wichtig, „praktische Dinge zu verändern“, anstatt Symbolpolitik zu betreiben.

Berlin erkennt die Regierung in Taipeh nicht offiziell an, und daran dürfte sich auch in Zukunft kaum etwas ändern, trotz Parlamentarierbesuchen aus Berlin. Denn an der Ein-China-Politik rüttelt Deutschland nicht, ebensowenig wie die anderen Staaten des Westens.

Deutsche Wirtschaft ist abhängig von China – und von Taiwan

Zuletzt war eine deutsche Bundestagsdelegation 2019 nach Taiwan gereist. Das ist zwar gerade einmal zweieinhalb Jahre her, war aber doch eine ganz andere Zeit – nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Es ist vor allem der russische Krieg gegen die Ukraine, der das Verhältnis der Bundesrepublik zu China und zu Taiwan in neue Bahnen lenkt. Einerseits, weil sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nach wie vor weigert, den russischen Angriff eindeutig zu verurteilen; vor allem aber, weil der deutschen Politik auf einmal klar geworden ist, was es bedeutet, sich in die Abhängigkeit eines autokratischen Staates zu begeben.

Und die deutsche Abhängigkeit von Chinas Wirtschaft ist deutlich größer als der deutsche Hunger nach russischem Gas und Öl. Sollte es zu einem offenen Handelskrieg kommen, würden einer Studie des Ifo-Instituts zufolge hierzulande vor allem Automobilindustrie, Hersteller von Transportausrüstungen und der Maschinenbau leiden. Die Gefahr sei jedenfalls groß, dass sich China in Bezug auf Taiwan ähnlich verhalte wie Russland in der Ukraine und einfach sage: „Eigentlich gehört das Gebiet mir, das hol ich mir zurück“, so die SPD-Abgeordnete Katrin Budde.

Der Ukraine-Krieg hat aber auch zu einem engeren Zusammenrücken der westlich geprägten Demokratien geführt. Das kleine Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohnern und einer lebhaften Debattenkultur ist geradezu das Gegenstück zur chinesischen Diktatur – und damit ein natürlicher Partner für die Bundesrepublik. Zudem wächst der Handel zwischen beiden Ländern, auf zuletzt 20 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.

Konflikt zwischen China und Taiwan: Gefahr groß, „dass etwas unbeabsichtigt außer Kontrolle gerät“

Welche wirtschaftliche Bedeutung Taiwan hat, zeigte sich beim Besuch der deutschen Abgeordneten in Tainan, einer Stadt im Süden des Landes. Im dortigen Wissenschaftspark informierten sich die Parlamentarier über die Entwicklung der Halbleiterindustrie. Dank Unternehmen wie TSMC ist Taiwan weltweit führend in dieser Branche, ohne deren immer kleiner werdende Bauteile auch hierzulande die Bänder stillstehen würden. „Für uns ist es essenziell, dass dieses Glied der Lieferketten erhalten bleibt“, so der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft, der ebenfalls Teil der Bundestagsdelegation war.

Wie dünnhäutig Peking reagieren kann, wenn es glaubt, dass durch einen Politikerbesuch eine selbstgesteckte Grenze überschritten wird, sah man Anfang August, als Nancy Pelosi für eine Kurzvisite nach Taiwan kam. Kaum war die 82-Jährige wieder abgereist, fuhr Peking militärische Drohgebärden auf, wie sie die Region seit Jahrzehnten nicht erlebt hatte. „Die Drohungen werden handfester und deutlicher“, bilanzierte CDU-Politiker Willsch. Die Gefahr sei groß, „dass etwas unbeabsichtigt außer Kontrolle gerät“.

Deutschland arbeitet an neuer China-Strategie

Pelosi ist allerdings mehr als nur eine einfach Abgeordnete – als Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses ist sie die Nummer drei der amerikanischen Polithierarchie. Derart hoher Taiwan-Besuch ist aus Deutschland nicht zu erwarten; als Nächstes will Ende Oktober der Menschenrechtsausschuss des Bundestages nach Taipeh fliegen. Überhaupt sind derartige Visiten seit Jahren Routine, nur erscheinen sie eben angesichts der aktuellen Entwicklungen in einem neuen Licht. Und so bekommen sie auch mehr Aufmerksamkeit als früher.

Spannend dürfte es werden, wenn Außenministerin Annalena Baerbock ihre seit Langem angekündigte China-Strategie vorstellt, möglicherweise noch in diesem Jahr. Denn vor allem im Verhältnis zu China wird sich zeigen, ob die „wertebasierte Außenpolitik“ der Grünen-Politikerin mehr ist als nur eine leere Worthülse. Auf Protest aus Peking kann sich die Ministerin jedenfalls schon jetzt einstellen. Und der dürfte noch deutlich lauter werden als beim Besuch der deutschen Parlamentarier. (sh)

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