1. WLZ
  2. Politik

Spannungen zwischen Serbien und Kosovo „ernst, aber keine Kriegsgefahr“: Balkan-Experte sieht „Inszenierung“

Erstellt:

Von: Andreas Schmid

Kommentare

Nato-Soldaten der Kosovo-Truppe (KFOR) inspizieren eine von ethnischen Serben errichtete Straßenbarrikade in der Nähe der Stadt Zubin Potok am 11. Dezember 2022.
Nato-Soldaten der Kosovo-Truppe (KFOR) inspizieren eine von ethnischen Serben errichtete Straßenbarrikade in der Nähe der Stadt Zubin Potok am 11. Dezember 2022. © Armend Nimani/AFP

Droht eine neue Eskalation im Kosovo-Konflikt? Balkan-Experte Konrad Clewing sieht bei IPPEN.MEDIA ein serbisches Muskelspiel inklusive „atemberaubender Hetzpolitik“.

Regensburg – Am Wochenende verhärteten sich die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo einmal mehr. Schüsse auf Polizisten und Straßenblockaden sorgten dafür, dass das seit 2008 von Serbien unabhängige Kosovo seine Kommunalwahlen verschob. Zuvor war ein ethnischer Serbe festgenommen worden, der für Angriffe auf geplante Wahllokale verantwortlich gemacht wird. Daraufhin schaltete sich Serbiens Präsident Aleksandar Vucic ein – und drohte mit der Entsendung serbischer Truppen nach Kosovo, das von Belgrad bis heute als abtrünnig betrachtet. Wie ernst ist die Lage?

Serbische Inszenierung? „Spannungen ernst, aber keine Kriegsgefahr“

Der Balkan-Experte Konrad Clewing spricht im Gespräch mit IPPEN.MEDIA von einer „prekären Situation“, vor allem im Nordkosovo. Dort, im Grenzgebiet zu Serbien, betreibt Belgrad eigene Machtstrukturen und bestärkt die serbische Minderheit bei ihren Versuchen, sich der Autorität Pristinas zu widersetzen. „Die Spannungen sind ernst“, meint Clewing, der am Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg arbeitet. „Sie bedeuten aber keine Kriegsgefahr.“

Am Montag hatten mutmaßliche Aufnahmen von serbischen Panzern nahe der kosovarischen Grenze für Aufsehen gesorgt. Die spanische Zeitung El Periodico de la Geopolitica veröffentlichte ein entsprechendes Video auf Twitter, es ist nicht verifiziert. Laut Clewing könnten diese Bilder als „Inszenierung“ dienen. „Serbien versucht seit Monaten durch solche Inszenierung Druck auszuüben. Aber es wird zu keiner militärischen Intervention kommen.“ Die Bilder sollen also womöglich Angst schüren und die laut Serbien militärische Überlegenheit demonstrieren.

Serbien-Präsident spricht von Truppenentsendung: „Diese Aussagen bleiben eine Drohung“

Serbien-Präsident Vucic deutete parallel die Entsendung von „bis zu 1000“ serbischen Truppen in den Kosovo an. „Um den Frieden zu wahren“, wie Vucic sagte. Dazu plane er einen Antrag bei der Nato-Kosovo-Truppe KFOR. Sie ist seit Ende des Kosovokriegs 1999 als „Sicherheitsgarant“ vor Ort stationiert und müsste die Truppenentsendung genehmigen. Serbien beruft sich dabei auf die Kosovo-Resolution der Vereinten Nationen. Darin heißt es, dass „eine kleine, vereinbarte Zahl (Hunderte, nicht Tausende)“ an serbischen Soldaten in den Kosovo zurückkehren darf, um etwa Grenzübergänge zu schützen.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, ob die Resolution nach Kosovos Unabhängigkeit 2008 noch in der Form gültig ist. Laut serbischer Darstellung hat sie Bestand. Vucic rechnet nach eigenen Aussagen aber dennoch nicht damit, dass die Truppenverlegung genehmigt wird. Die Ankündigungen sind daher wohl vor allem ein Machtspiel Belgrads, wie Clewing meint: „Die KFOR wird das mit absoluter Sicherheit auf gar keinen Fall genehmigen. Vucics Aussagen sind vor allem eine Forderung fürs serbische Publikum, sie bleiben eine Drohung.“ Denn: „Serbien wird sicher nicht militärisch gegen die KFOR vorgehen“. Dann wäre auch die Nato unmittelbar in den Konflikt involviert und die Spannungen bekämen eine vollends neue Dimension.

Kosovo stellt offiziell EU-Mitgliedsantrag

Am Mittwoch stellte die Republik Kosovo offiziell einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Für den jüngsten Staat Europas war es ein eher symbolischer Akt: Die EU-Mitgliedschaft ist derzeit nicht in Reichweite. Formell hat Kosovo lediglich eine „EU-Beitrittsperspektive“.

Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Land hatte früher zu Jugoslawien beziehungsweise Serbien gehört. Nach Repressionen der serbischen Sicherheitskräfte gegen die albanische Zivilbevölkerung bombardierte die Nato im Frühjahr 1999 Ziele im damaligen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro). Die serbischen Sicherheitskräfte und Staatsorgane verließen Kosovo. Die Verwaltung und die Schaffung kosovarischer Institutionen übernahm die UN-Mission UNMIK.

Im Februar 2008 erklärte das kosovarische Parlament die Unabhängigkeit. 117 Staaten kennen den Kosovo völkerrechtlich an, darunter Deutschland. In der EU gibt es fünf Länder, die den Kosovo aufgrund unterschiedlicher Begründungen nicht anerkennen. Spanien etwa verzichtet darauf aus Angst, dass Katalonien und das Baskenland dann ebenfalls unabhängig werden wollen.

Bundeswehr-Einsatzführer im Kosovo warnt vor „andauernder Gefahr“ der Eskalation

Immer wieder gibt es Konflikte zwischen Serbien und Kosovo. Dieses Jahr gab es Ärger, weil Kosovo serbische Nummernschilder verbieten wollte. Kosovo habe durch die Reibereien mit Serbien „selbstverständlich Sicherheitsängste“, meint Clewing. „Serbien macht innerstaatlich eine atemberaubende Hetzpolitik gegenüber Kosovo und den Albanern, sodass die Existenz Kosovos langfristig durchaus gefährdet ist“. Auch der Bundeswehr-Einsatzführer im Kosovo vor Ort warnt vor der „andauernden Gefahr“, dass sich die Lage vor Ort „in kürzester Zeit“ verschlechtere. Die Unzufriedenheit vieler Menschen im Norden des Kosovos bilde eine „ständige Basis für mögliche Eskalationen und Gewaltpotenzial“, sagte der deutsche KFOR-Einsatzkontingentführer Egon Frank der Welt.

Der von der Nato geführte Einsatz sei „zur Friedenssicherung und Stabilisierung der Lage vor Ort zwingend und unerlässlich“, erklärte Frank weiter. Die prekäre Lage im Nordkosovo sei auf „organisierte Kriminalität, serbische Parallelstrukturen und das unverändert bestehende interethnische Konfliktpotential“ zurückzuführen. „Verschiedene serbische Akteure“ würden die Menschen als „Instrument der serbischen Einflussnahme“ nutzen. (as)

Auch interessant

Kommentare