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Adenauer ließ SPD-Spitze ausspionieren - Kühnert stellt nun Forderung an die CDU: „Es wird Zeit“

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Von: Astrid Theil

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Konrad Adenauer
Konrad Adenauer (m.) soll über den BND-Spitzel oft noch am selben Tag informiert worden sein. © dpa

Fast zehn Jahre lang hat Konrad Adenauer offenbar die gesamte SPD-Spitze ausspionieren lassen. Die SPD reagiert entsetzt - und nimmt Adenauers politische Erben ins Visier.

Berlin - Die SPD* hat entsetzt auf einen Bericht reagiert, demzufolge Konrad Adenauer (CDU) die gesamte SPD-Spitze als Bundeskanzler fast zehn Jahre lang hat ausspionieren lassen. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hatte die Vorwürfe am Freitag (8. April) veröffentlicht. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert forderte die CDU am Wochenende auf, die Geschehnisse aufzuarbeiten.

Kühnert wählte klare Worte: „Es ist ein ungeheuerlicher und in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl beispielloser Vorgang, dass der erste demokratische Bundeskanzler seine Macht systematisch unter Missachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien ausbaute und festigte“. „Es wird Zeit, sich als deutsche Christdemokratie einer kritischen Aufarbeitung zu stellen“, sagte er der SZ. Die Aufdeckung dieses „skrupellosen Machtmissbrauchs lässt Teile unserer bundesrepublikanischen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht erscheinen“.

Bespitzelung durch Adenauer: „Parteigeschichte der CDU beruht ein Jahrzehnt auf systematischer Bespitzelung“

Die CDU* müsse sich dazu verhalten, dass „die Geschichte ihres prägendsten Vorsitzenden und somit auch die eigene Parteigeschichte mehr als ein Jahrzehnt lang auf systematischer Bespitzelung des politischen Gegners, insbesondere der SPD, beruht“. Der SPD-Generalsekretär nannte es schwer erträglich, dass es mehr als 60 Jahre gebraucht habe, um diesen Skandal aufzuklären. Den Recherchen zufolge hatte Adenauer* die SPD-Spitze mithilfe zweier Informanten weitaus stärker ausspionieren lassen hat als bislang angenommen. 

Dabei basiert der Bericht auf der Auswertung historischer Dokumente. Einer der Informanten soll direkt in der SPD-Spitze gearbeitet haben. Fast 500 vertrauliche Berichte aus dem SPD-Vorstand sollen auf diese Weise in das CDU-geführte Bundeskanzleramt* gelangt sein. Über die Spitzel des Bundesnachrichtendienstes (BND) sei Adenauer, der von 1949 bis 1963 regierte, oft noch am selben Tag über Vorgänge in der Oppositionspartei informiert worden.

Durch Historiker aufgedeckt: Erforschung der Geschichte des BND

Diese Erkenntnisse gehen dem Bericht zufolge aus Akten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die der Historiker Klaus-Dietmar Henke ausgewertet hat und welche die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Henke ist Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND. Kühnert betonte, dass es sinnlos sei, sich die „Was wäre gewesen wenn“-Frage zu stellen.

Spekulationen darüber, inwiefern der Verlauf der Geschichte ohne diese massive politische Wettbewerbsverzerrung ein anderer gewesen wäre, würden sich nicht lohnen. Das mindere jedoch nicht die Sprengkraft der Erkenntnisse. Angesichts dieser Erkenntnisse müssten laut Kühnert Geschichtsbücher und Biografien neu geschrieben und „das Werk Adenauers in Anbetracht seines Missbrauchs des Auslandsgeheimdienstes neu eingeordnet werden“.

Willy Brandt ausspioniert: Adenauer hatte zwei Informanten in SPD-Spitze

Es war bereits bekannt, dass Adenauer über seinen Staatssekretär Hans Globke und über Reinhard Gehlen, den Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen, innenpolitische Gegner überwachen ließ. Zu den Ausspionierten gehörte auch der spätere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt*. Die nun ausgewerteten Dokumente sollen laut SZ aber eine „neue Dimension“ der Spionage bei der politischen Konkurrenz offenbaren. Aus der Organisation Gehlen ging 1956 der heutige BND hervor.

Die beiden Hauptspitzel in der SPD-Spitze waren die beiden Sozialdemokraten Siegfried Ortloff und Siegfried Ziegler. Ortloff arbeitete für den SPD-Vorstand und kümmerte sich dort um die Abwehr kommunistischer Unterwanderung. Ziegler war wiederum Mitglied der Organisation Gehlen sowie SPD-Kreisvorsitzender in Starnberg. Beide lieferten den Untersuchungen zufolge Informationen an Gehlen, die über Globke ihren Weg zu Adenauer fanden.

Frühzeitig informiert: Adenauer ließ SPD ein Jahrzehnt ausspionieren

Auf diese Weise habe Adenauer etwa erfahren, was im SPD-Vorstand über den damals erwogenen Wechsel zum Mehrheitswahlrecht verhandelt wurde - oder wer als SPD-Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl antreten würde. Auch die vertrauliche Mitteilung, dass der damalige Parteivorsitzende Erich Ollenhauer bei der Bundestagswahl 1961 nicht erneut als Kanzlerkandidat kandidieren wolle, erhielt Adenauer demnach zeitnah. (at/dpa/AFP) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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