Erstmeldung vom Mittwoch, 16.06.2021, 11.30 Uhr: Genf – Das G7-Treffen in Großbritannien ist vorbei, doch das wohl schwierigste Treffen steht US-Präsident Joe Biden noch bevor: Am Mittwoch (16.06.2021) trifft er in Genf Russlands Präsident Wladimir Putin. Größer könnten die Gegensätze kaum sein. Hier der oft von seinen Gegnern als „Sleepy Joe“ verspottete Biden (78), der vor allem großväterliche Ruhe ausstrahlt, auf der anderen Seite der zwar nur zehn Jahre jüngere Putin (68), der sich jedoch gerne beim Sport inszeniert. Bereits im Vorfeld haben sie kaum ein gutes Haar aneinander gelassen.
Beim Treffen der beiden Präsidenten in der Villa La Grange am Genfer See in der Schweiz dürfte es wohl um eine Vielzahl von Themen gehen: Ob Cyberangriffe, Wahlbeeinflussung oder die Rüstungskontrolle, zwischen den beiden Staaten liegt einiges im Argen. Hinzu kommt, dass Joe Biden alles andere als gut auf Putin zu sprechen ist. Bereits zum Beginn von Putins Herrschaft in Russland sagte Biden, damals noch Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Senat: „Ich traue Putin nicht“.
Bei dieser Haltung ist Biden auch bis heute geblieben – und hat sie teilweise auch verschärft. In einem Interview bestritt Biden etwa, dass Putin eine Seele habe und stimmte einer Aussage zu, die den russischen Präsidenten als „Killer“ bezeichnete. Die US-Nachrichtenseite Politico brachte es passend auf den Punkt: „Biden mochte Putin schon nicht, bevor das cool war.“ Hinzu kommt, dass Wladimir Putin Bidens Amtsvorgänger Donald Trump* bevorzugte, dessen Schwärmerei für den russischen Präsidenten bekannt ist. Biden bezeichnete Trump daher als „Putins Welpe“. Putin nannte Biden seinerseits einen „Karrieristen“. Trump selbst stichelte vor dem Treffen gegen Biden*.
Ob die Präsidenten Zeit dazu haben, sich über persönliche Streitereien auszutauschen, ist eher unwahrscheinlich. Schließlich steht eine Vielzahl von Themen auf dem Tagesplan, so die Afp. Ein Knackpunkt liegt bei dem Vorwurf der Wahlbeeinflussung und Cyberangriffe, darunter auf Behörden und Menschenrechtsorganisationen*. Seit Jahren werfen die USA* Russland vor, sich gezielt in Wahlen anderer Staaten einzumischen um so deren politisches System zu destabilisieren. Erst kürzlich verhängte das Weiße Haus unter Joe Biden sogar Sanktionen gegen Russland* wegen der mutmaßlichen Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl im November. Russland hat sämtliche Vorwürfe bisher zurückgewiesen und wirft den USA seinerseits vor, die russische Opposition zu unterstützen.
Auch die Menschenrechtslage wird auf der Tagesordnung stehen. Biden kündigte bereits im Vorfeld an, dass er bei dem Treffen mit Putin Washingtons Engagement „für Menschenrechte und Menschenwürde“ unterstreichen wolle. Seit Anfang dieses Jahres hat sich die Lage der Opposition in Russland noch einmal verschlimmert, als bestes Beispiel dafür dient der mittlerweile in einem Straflager sitzende Alexej Nawalny*. Seine Organisationen wurden von einem Gericht als „extremistisch“ eingestuft und verboten*. Russland wirft den USA hingegen vor, sich in „innere Angelegenheiten“ einmischen zu wollen und die Menschenrechte mit „zweierlei Maß“ zu messen.
In puncto Sicherheitspolitik sieht die Lage besonders angespannt aus: Moskau und Washington haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder dem Bruch von Sicherheitsabkommen bezichtigt. Joe Bidens Vorgänger Trump war aus dem wichtigen Abrüstungsvertrag INF aufgestiegen, den noch Ronald Reagan mit Michail Gorbatschow verhandelt hatte. Erst vor wenigen Tagen, so berichtet die Nachrichtenagentur AFP, beschloss Wladimir Putin den Ausstieg Russland aus dem Open-Skies-Sicherheitsabkommen, welches internationale Beobachtungsflüge regelt. Das Abrüstungsvertrag New Start wurde jedoch erst im Februar von beiden Staatschefs verlängert.
Ebenfalls ein Streitpunkt ist die Lage in der Ostukraine und der Pipeline Nord Stream 2. Seit 2014 besetzt Russland die Krim, seitdem ist der Ukraine-Konflikt ein ständiges Thema bei Gipfeltreffen zwischen Ost und West. Die USA sind wegen kürzlichen, russischen Truppenbewegungen nahe der Grenze zur Ostukraine besorgt. Die Tonlage zwischen Russland und der Ukraine* hat sich in den vergangenen Monaten erneut verschlechtert. Bei der Gaspipeline Nord Stream 2* sind die USA besorgt, dass Europa eine zu starke Abhängigkeit von russischem Gas entwickeln könnte und die Ukraine, durch die bisher die meisten Pipelines liefen, Nord Stream 2 wirtschaftliche Nachteile haben könnte. Zwischen Moskau, Washington und Berlin gab es diesbezüglich jedoch erste Annäherungsversuche, die US-Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft sind so etwa vom Tisch.
Diese Konflikte belasten das diplomatische Klima zwischen den USA und Russland schwer. Eine Revolution und Annäherung sind von dem Treffen in Genf daher wohl nicht zu erwarten, aber sehr wohl kleine Kompromisse, wie etwa ein Gefangenenaustausch. Doch Joe Biden wird in vielen Aspekten wohl hart bleiben. Schließlich hatte er schon vor seiner Wahl einen härteren Kurs gegenüber Russland angekündigt. Und davon wird der US-Präsident wohl kaum abrücken. (als mit dpa/AFP) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.