Interview: Stephan Leyhe über die Tournee, die Suche nach Konstanz und Stöckls Ideen

Stephan Leyhe steht vor seiner 8. Vierschanzentournee seit 2014/15. Seine Erwartungen? Zumindest unter den Top 15 wolle er am Ende landen, sagt der Willinger Skispringer im WLZ-Interview.
Hinterzarten/Willingen - Hinter dem 30-Jährigen liegen zwei Trainingstage mit der Mannschaft und den Bundestrainern in Oberstdorf. Arbeit am Fluggefühl und Gewöhnung an die Schanze. Er sei zufrieden, sagt er. Bevor er an diesem Freitag zu den Eltern für ein kurzes Festtags-Gastspiel nach Schwalefeld aufbricht, stand er Rede und Antwort. Gelassen, aber auch sich selbst befragend, was er von der Tournee für sich erwarten kann.
Stephan Leyhe, Ihr Teamkollege Markus Eisenbichler hat mal gesagt, die Vierschanzentournee sei wichtiger als Olympia. Stimmen Sie ihm zu?
Schwierig, aber ich setze die Tournee auch ein bisschen höher an als die Spiele. Bei der Vierschanzentournee bekommst du zwar jedes Jahr eine Chance, bei Olympia nur alle vier Jahre, aber du musst über zehn Tage gute Leistungen zeigen und extrem konstant sein. Bei Olympia muss du auch gut sein, aber du brauchst auch das Glück, um an einem bestimmten Tag die richtigen Bedingungen und die richtige Form zu haben.
Wer die Tournee gewinnen will, muss in zwölf Sprüngen, die Qualifikationen mitgerechnet, seine Leistung abrufen, nicht nur in einem Wettbewerb. Das macht diesen Sieg so wertvoll?
Du springst ja außerdem auf vier unterschiedlichen Schanzen. Wenn du das kannst und dann gewinnst, bist du ein kompletter Springer.
„Gute Tournee, wenn ich konstanter werde“
Gibt es eine Schanze auf der Tournee, die Sie partout nicht mögen?
Das nicht, aber es gibt schon Unterschiede. Meistens tue ich mich in Oberstdorf am schwersten. Innsbruck ist oft ein wenig Glückssache wegen des Föns. Auf beiden Schanzen komme ich normal zurecht, Garmisch und Bischofshofen liegen mir ein bisschen besser.
Sie gehen mit den Sprüngen von nur drei Weltcups auf die Tournee: Welches Fluggefühl nehmen Sie mit?
Es ist eine andere Situation als in den letzten Jahren, weil ich beim ersten Weltcup in Wisla nicht mitgefahren bin. Trotzdem denke ich, dass ich wieder recht gut ins Team hinein gekommen bin. Ich hatte in den neun Sprüngen im Wettkampf und in der Qualifikation fünf Top-Ten-Platzierungen – leider nicht mal zwei an einem Tag. Die Konstanz ist also mein großes Thema. Wenn ich es schaffe, konstanter zu werden, könnte es wieder eine recht gute Tournee für mich werden.
Das Finale genau so zu springen wie den ersten Durchgang – ist das ein Ziel?
Zwei gute Sprünge unter die Top Ten machen, das würde zu meinem aktuellen Leistungsstand passen.
Zur Person
Stephan Leyhe (30) springt seit dem Winter 2014/15 die Vierschanzentournee – mit einer Ausnahme: 2020/21 musste er sie wegen seines Kreuzbandrisses ausfallen lassen. Seine beste Platzierung in der Gesamtwertung erzielte der Springer vom Ski-Club Willingen, der seit mehr als zehn Jahren in Hinterzarten lebt und trainiert, als Dritter 2018/19. Seine größten Erfolge feierte er als Weltmeister sowie zweifacher Medaillengewinner bei Olympia im Team. Der gebürtige Schwalefelder ist seit Mai verheiratet und studiert im Fernstudium Architektur. (mn)
Es fällt auf, dass Sie meistens einen guten ersten Sprung hinbekommen, den zweiten aber nicht. Das war in früheren Jahren schon zu beobachten.
Es ist besonders in diesem Winter auffällig. In den vergangenen Jahren habe ich das zwar auch erlebt, aber genau so auch umgekehrt: Dass ich im Finale noch nach vorn gesprungen bin.
Haben Sie eine Erklärung, warum die Konstanz fehlt?
Vor allem in Kuusamo war ich unerwartet gut. Ich war als sechster Mann gerade wieder in den Weltcup zurückgekehrt und plötzlich bester Deutscher nach dem ersten Sprung. Danach dachte ich, okay, jetzt nichts falsch machen. Und zack, ist es passiert, der Fehler war da. In Engelberg wollte ich im zweiten Durchgang vielleicht ein bisschen zu viel, dann war auch der Fehler da. Die Herausforderung ist, normal weiter zu machen.
Wie meinen Sie das?
Nicht zu viel wollen, aber auch nicht in den Verteidigungsmodus wechseln. Eine gewisse Angriffslust haben, aber nicht überpacen.
„Auch die Kraft beim Absprung ist ein Thema“
Sie haben nach dem Sonntags-Wettbewerb zuletzt in Engelberg gesagt, Sie hätten sich beim zweiten eher misslungenen Sprung wie im „luftleeren Raum“ gefühlt.
Habe ich das gesagt im Interview? (Lacht). Ich weiß es nicht mehr ganz genau. Engelberg ist jedenfalls etwas speziell, weil man oft viel Rückenwind hat. Auch die Kraft beim Absprung ist ein Thema. Eigentlich ist sie eine meiner großen Stärken; ist sie nicht hundertprozentig da, fehlt dem Sprung Energie.
Bedeutet es eine Entlastung für Sie, dass Philipp Raimund durch seine Erfolge im Continental-Cup dem Deutschen Ski-Verband für die Tournee einen siebten Startplatz gesichert hat?
Es ist gut, dass ein siebter deutscher Springer dabei ist. Sonst hätten sich die Trainer bei unserem Lehrgang in Oberstdorf entscheiden müssen, welche sechs sie für den ersten Wettkampf aufstellen wollen. So können wir alle beruhigt in die Vierschanzentournee gehen: Zu 90 Prozent werden wir sie durchspringen. Danach hat der Verband dann wieder nur sechs Startplätze.

Die deutschen Springer sind insgesamt in diesem Winter nicht so gut unterwegs wie im Vorjahr. Gibt es dafür eine Erklärung?
Schwierig. Es stimmt, dass wir in den letzten Jahren immer gut in den Winter gestartet sind und einer oder zwei von uns unter den Topfavoriten für die Tournee waren. Diesmal müssen wir aus den hinteren Reihen heraus nach vorne springen. In einzelnen Sprüngen haben wir gezeigt, dass wir es können – vor allem Karl (Geiger), etwa im Finale in Engelberg oder mit dem Podestplatz in Titisee-Neustadt.
Wer sind Ihre Favoriten?
Vorne sind mit Dawid Kubacki, Anze Lanisek, Stefan Kraft, Halvor Granerud und vielleicht Manuel Fettner, der für mich ein Geheimtipp ist, vier fünf, Leute zu schlagen. Danach liegen von Platz 6 bis 20 alle eng beinander, da kann alles passieren.
Haben Sie sich ein Ziel gesetzt für die Tournee?
Top 15 wäre das Ziel, über Top 10 würde ich mich sehr freuen.
„Ich kann mich mit Skispringen im Sommer anfreunden“
Bundestrainer Stefan Horngacher hat Sie unlängst den „Diesel aus Willingen“ genannt. Haben Sie einen neuen Spitznamen weg?
Nein, das nicht, aber der Satz beschreibt so ein bisschen meine ganze Karriere: Dass ich erst mal warmlaufen muss, bis ich vorankomme.
Norwegens Trainer Alexander Stöckl hat in dieser Woche angeregt, sich beim Skispringen vom Begriff Wintersport zu verabschieden und stattdessen von „Extremsport“ zu sprechen, weil ohnehin über kurz oder lang nicht mehr auf Schnee gesprungen werde. Nicht schlimm findet er, es gebe ja die Matte. Außerdem schlägt er Skispringen ganzjährig und global vor. Was halten Sie davon?
Es findet ja schon ein Umdenken statt, das hat sich beim Start in den Weltcup-Winter in Wisla gezeigt, der auf Matten stattfand. Wahrscheinlich müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir den ganzen Winter über auf schneebedeckten Schanzen springen. Es wird schwierig sein, dass in die Köpfe der Fans zu bekommen, aber es wird notwendig sein. Ob man da gleich Extrem- oder Risikosport zum Skispringen sagen muss, weiß ich nicht. Natürlich verbindet man mit Winter auch Schnee, aber gemeint ist einfach auch die Jahreszeit.
Stöckl hat davon gesprochen, ein „Ganzjahresdenken“ reinzubringen. Zwar gibt es den Sommer-Grand-Prix im Skispringen längst, er hat aber keine besondere Bedeutung.
Das wäre die Aufgabe der FIS (Internationaler Ski-Verband) und von anderen, die Sommerspringen attraktiv für das Publikum zu machen. Im Sommer hast du viel mehr Konkurrenz: Fußball, Leichtathletik, Formel 1, Sportarten, denen der Sommer gehört. Da noch das Skispringen zu platzieren, erfordert ein attraktives Programm. Es braucht außerdem Zeit für den Gedanken, dass Skispringen kein Winter- sondern Ganzjahressport ist.
Könnten Sie sich damit anfreunden?
Ich bin für neue Sachen recht offen. Ich bin zwar großgeworden mit Springen als Wintersport, aber kann mich mit Skispringen im Sommer anfreunden.

Auch die Matte hat ihre Tücken
Ist das Springen auf Matten weniger gefährlich als auf Schnee? Und bietet es allen die gleichen Bedingungen?
Na ja, im Sommer besteht das Problem, dass die Matten bewässert werden müssen. Das hat oftmals Auswirkungen auf den Wind.
Wie das?
Die warme Luft strebt nach oben. Durch das Bewässern kühlt sich der Hang kurz um ein paar Grad ab und der Aufwind ist weg. Wenn du also kurz nach einer Bewässerungspause springen musst, ist das gar nicht so gut. Umgekehrt: Springst du vor der Pause, können die Matten stumpf sein. Im Winter hast du auf Schnee eigentlich immer gleiche Bedingungen.
Abgesehen vom Wind.
Klar, aber es ist nicht so wie im Ski Alpin, dass der Hang immer schlechter wird. Was gefährlicher ist? Schwer zu sagen. Auf Schnee kann es eher passieren, dass es dir die Skier verschneidet, weil sich ein Ski in den Schnee krallt. Dafür kann man sich bei einem Sturz auf Matten leicht Verbrennungen zuziehen.
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