Vor 20 Jahren: Willingen trotzte der Klage-Drohung

Willingen - Fast genau 20 Jahre ist es her: Am 8. Januar 1995 wurde in Willingen erstmals ein Weltcup-Sieger ermittelt: Der Österreicher Andreas Goldberger setzte sich damals durch. Wir nehmen das Jubiläum zum Anlass, auf die Anfänge und die Historie zurückzublicken.
„Das ist der Wahnsinn“, titelten gleich mehrere große Zeitungen über den Kult-Weltcup der Skispringer, als 2002 und 2003 die „Hannimania“ auch am Rande des Sauerlandes ausgebrochen war und die Fans im und rund um den Waldecker Weltcup-Ort einmal im Jahr förmlich auszurasten schienen. Der Willinger Weltcup-Wahnsinn dank Sven Hannawald und Martin Schmitt krönte den Job der rund 1300 „Free Willis“, der vielen freiwilligen Helfer des mehr als 100 Jahre alten Ski-Clubs, ohne deren ehrenamtlichen Einsatz eine derartige Begeisterung nicht möglich gewesen wäre. Die weltbesten Adler fliegen immer wieder gern am Willinger Himmel, nahezu alle Großen dieser Szene haben sich in die Siegerliste eingetragen.
Zwölf Jahre lang hatten die Willinger nach vielen internationalen Skispringen auf ihrer Großschanze Europacups ausgerichtet, zu denen auch der Deutsche Skiverband immer wieder einen seiner Topspringer geschickt hatte. 1994 wagte sich eine SCW-Delegation um Präsident Christian Trögeler, Jürgen Müller und Schanzenchef Manfred Stede in die Höhle des Löwen nach Planica und fragten leise bei Walter Hofer, Paul Ganzenhuber, den beiden wichtig-sten Fis-Männern in Sachen Skispringen, und dem mächtigen DSV-Sportdirektor Helmut Weinbuch an, ob nicht auch einmal ein Weltcup im Waldecker Upland ausgetragen werden könnte.
Schnelle Zusage vom Verband
Schon am nächsten Tag, die Willinger saßen im Festzelt und waren angetan von der Atmos-phäre beim Skifliegen, stürmte Weinbuch, völlig aus der Puste, die verdutzten Willinger Skifreunde suchend, hinzu und sagte: „Wo seid ihr denn? Ihr bekommt schon nächste Saison ein Weltcup-Springen.“ Weltcup-Koordinator Hofer hatte ihn wissen lassen: „Wenn du und der DSV einen Weltcup für Willingen beantragt, bekommt ihr auch einen.“ Gesagt getan - Willingen befand sich in der illustren Runde der großen Veranstalter und musste nun das Vertrauen rechtfertigen.
Der Weltcup-Countdown begann. Stichtag 7./8. Januar 1995 - einen Tag nach dem Finale der Vierschanzentournee am Dreikönigstag in Bischofshofen. Hofer vermittelte den Meinerzhagener Schanzenbauer Wolfgang Happle als Rennleiter, und schlug den Willingern den gebürtigen Korbacher Werner Rabe als erfahrenen Fernsehmann beim Bayerischen Rundfunk als Pressechef vor. Als Freund Jochen Behles und Sprecher bei dessen Rollskirennen hatte der frühere Sportredakteur der WLZ den Kontakt in die Heimat nie abreißen lassen. Und legte gleich kräftig los.
Er schrieb vom „fünften Springen der Vierschanzentournee“, was Hugo Kassel, den mächtigen Mann des Ski-Clubs Bischofshofen, auf die Palme brachte, der die Marke Tournee schützen wollte und mit einer Klage drohte. Dennoch ließ er sich schließlich für 2000 Mark die Siegerehrung der Tournee am 6. Januar abkaufen, damit die weltbesten Skispringer direkt nach dem Spektakel auf der Naturschanze von Salzburg mit einem Charterflug nach Paderborn fliegen konnten, um schon am 7. Januar eine Trainingsveranstaltung auf dem alten Holzbock zu ermöglichen.
Im Flieger mit dabei: Jürgen Müller und Schanzensprecher Rainer Puk, die „Stimme vom Mühlenkopf“, beide mit einer Portion Flugangst ausgestattet, wie Insider zu berichten wissen.Die gestressten Skispringer kamen erst wieder zu Laune, als auf dem Weltcup-Flughafen Paderborn die TV-Kameras aufgebaut und ein kleiner Sektempfang auf sie wartete. Per Bus ging es weiter, für das Gepäck musste noch ein Lkw geordert werden. Der Tross der Serviceleute und Betreuer steuerte den neuen Weltcup-Ort per Auto an.
Im Wettkampf- und Pressebüro im „Haus des Gastes“ wurden alle Ankömmlinge mit ihren Zimmerschlüsseln der verschiedenen Hotels ausgestattet und auf einer Liste abgehakt, damit keiner abhanden kam. Michael Bangert bekam die Aufgabe, noch weit nach Mitternacht auf einen der Trainer zu warten, der sich noch nicht gemeldet hatte. Er tat dies vergeblich bis zum frühen Morgen. Besagter Skisprungexperte kam nicht zum ersten Mal ins Upland und hatte sich nächtens schon bei einem Bekannten vergangener Europacup-Skispringen einquartiert. Pech gehabt.
Springer fühlen sich stets wohl
Auch die Skispringer fühlten sich schnell wohl im Weltcup-Ort, Brauhaus oder Don Camillo. Als sich einer der Hoteliers im Pressezentrum meldete und berichtete, dass er zwei Männer, die aussehen würden wie Goldberger und Duffner, auf seiner Ofenbank vorgefunden hätte, und ob die beiden Freunde es wohl wirklich gewesen sein könnten, bekam er nur knapp zur Auskunft: „Wenn die so aussehen wie Goldi und Duffi, dann sind sie es auch ...“
Inkognito kamen nicht nur Pe Horle, der Präsident des Ski-Clubs Oberstdorf, für einige Tage in den Stryck, um zu ergründen, was Willingen als Veranstalter anders oder vielleicht sogar besser macht. Auch die beiden „Vorflieger“ Hannawald und Schmitt „versteckten“ sich nach einem Weltcup in Sapporo und vor einer WM in Absprache mit dem Trainerstab bei ihren Freunden in Willingen, suchten einige Tage Ruhe und Entspannung. Es gelang dem Duo dem üblichen Medienrummel zu entgehen. Die vielen „Free Willis“, die Beide natürlich im Ort erkannten, hielten dicht. (be)