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Viel gesät, noch wenig geerntet: Jenna Mohr und Anna Häfele – Pionierinnen des Frauen-Skispringens

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Von: Gerhard Menkel

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Großes Kino: Jenna Mohr (Mitte) jubelt über ihren Sieg beim Continental-Cup in Sapporo 2009 vor Ulrike Gräßler (links) und Daniela Iraschko.
Großes Kino: Jenna Mohr (Mitte) jubelt über ihren Sieg beim Continental-Cup in Sapporo 2009 vor Ulrike Gräßler (links) und Daniela Iraschko. © Horst Nilgen/Archiv

Die Frauen springen jetzt auf Großschanzen, mit den Männern zusammen. Und sie verdienen Geld. Wie finden das zwei Athletinnen, die als Aktive mit ihrem Sport in den Kinderschuhen steckten?

Willingen – Es wäre für Jenna Mohr keine Frage gewesen, dass sie hätte dabei sein wollen. „Ich hätte schon richtig Bock gehabt und mir tatsächlich Urlaub genommen“, sagt sie. Ganz schön viel Konjunktiv, und man weiß natürlich, warum: Das Ereignis, von dem Jenna Mohr spricht, der Skisprung-Weltcup Willingen erstmals mit Männern und Frauen, findet statt vor leerem Haus. Und damit ohne sie.

Schade, findet Jenna Mohr. Ihre frühe Wegbegleiterin und Kollegin Anna Häfele denkt ebenso. Beide Ehemalige des SC Willingen, bis heute in Kontakt, gehörten zu Deutschlands Pionierinnen des weiblichen Weitspringens auf Ski. Sie saßen auf den Balken, als der Internationale Ski-Verband FIS in den frühen 2000er Jahren, die Normalschanzen für Frauen öffnete. Sie sprangen beim ersten WM-Entscheid 2009 in Liberec und zählten 2011/12 bei der Weltcup-Premiere auch zu den Debütantinnen.

Kiel und Düsseldorf statt Willingen

Für die Spitze hat es nicht gereicht, und die nächsten Stationen erreichte das Frauen-Skispringen ohne sie. Gerade Mohr, 34 Jahre alt, Bundespolizistin, Mutter von Henry (4) und heute in der Nähe von Kiel zuhause, sieht ihren frühen Abschied von den Schanzen schon im Jahr 2012 mit Wehmut. „In dem Sinne, dass ich eine der Pionierinnen war und mit aufgebaut habe, wie es gerade ist, aber es nicht einmal so richtig miterleben durfte.“

Manchmal sieht sie ihre Nachfolgerinnen – mit den zwei Olympia-Fahrerinnen Katharina Althaus und Juliane Seyfarth haben sie und Anna Häfele noch gesprungen – im Fernsehen und denkt: „Oh Mann, dafür hat man jahrelang gekämpft.“

Das Gefühl, viel gesät und wenig geerntet zu haben, ist bei Jenna Mohr vielleicht besonders ausgeprägt. Sie zählte vor Olympia 2010 in Vancouver zu jenen 14 Springerinnen weltweit, die vor einem kanadischen Gericht ihre Teilnahme erzwingen wollten. Die Klage wurde abgewiesen. Sie gab damals ihren Namen, was vom Deutschen Ski-Verband außerdem Ulrike Gräßler tat. Es sei nicht allein um das Startrecht bei Olympia gegangen. Ein eigener Weltcup, höhere Prämien, „überhaupt gesehen werden“, sagt Jenna Mohr – der Wunsch nach Gleichstellung trieb sie an.

Jenna Mohr
Jenna Mohr heute. © pr

In Sotschi 2014 sprangen die Frauen dann um olympische Medaillen. Zu spät für sie. Dass sie schon mit 25 mit dem Springen abschloss, hat Jenna Mohr nicht verbittert, aber es sei eine Wunde in ihrer Sportbiografie. „Es ist schon so, dass ich mich für die Fortschritte der Mädels freue. Abgesehen davon, ich glaube nicht, dass ich heute noch springen würde.“

Andrerseits hatte sie nicht vor, schon im Mai 2012 ihre Karriere für beendet zu erklären. „Klar habe ich die Entscheidung selber getroffen, aber so richtig eine Wahl hatte ich ja auch nicht.“ Nach einem Winter mit Rückenproblemen, nur drei Weltcup-Einsätzen und unbefriedigenden Platzierungen verlor sie ihren Kaderstatus und jede Förderung. „Ein Schock“, sagt sie. „Die Absprachen waren im Vorfeld ganz anders.“ Sie stand vor einem Skimarkenwechsel „Eigentlich war mein Setup komplett auf eine neue Saison gelegt.“

Überlegungen, mithilfe des SC Willingen weiterzuspringen, zerschellten nach Mohrs Erinnerungen an den finanziellen Realitäten. „Der Lebensunterhalt muss auch finanziert werden, damit hätte ich quasi noch draufbezahlt. Ich habe mir gesagt, ich mach das nicht mehr.“

Die Entscheidung verband sie mit einer Flucht: weg von den Ski, weg aus dem Upland, weg aus den Bergen. Darauf blickt sie heute ohne Bitterkeit: „Wie sich mein Leben gefügt hat, da kann ich nicht meckern.“

Jenna Mohr: „Warum kann man nicht den ganzen Wettkampf übertragen?“

Jenna Mohr lebt mit Sohn und Lebensgefährten im Dörfchen Negenharrie („noch kleiner als Bömighausen“), sie hat damit sowohl sportlich als auch topografisch den größtmöglichen Abstand zum alten Heimatort Usseln gewählt. „Es war ein bewusster Neuanfang“, sagt sie. Längst mischt sie norddeutsche Wörter in ihre Rede: Sie sagt der „Lütte, „ich sach mal“ oder „Moin“.

Auf Distanz zum Skispringen ist sie nicht (mehr). Sie sieht zwar selten Wettkämpfe der Frauen im Fernsehen, verfolgt aber Ergebnisse und Ereignisse in Social-Media-Kanälen und ist in den aktuellen Diskussion um das weibliche Fortkommen auf den Schanzen ziemlich präsent.

So würde sie sich eine gemeinsame Vierschanzentournee von Frauen und Männern „absolut wünschen. Das würde das Frauenskispringen voranbringen, da es mehr Publikum hat.“ Und vielleicht auch mehr Fernsehzeiten. Mohr kann sich richtig ärgern, wenn die Sender die Übertragungen von Frauenspringen abbrechen: „Gemessen an anderen Sportarten, denke ich, warum kann man nicht den ganzen Wettkampf übertragen.“

Sportliches aus dem Leben von Mohr und Häfele

Jenna Mohr war bis 2012 aktiv, gewann drei COC-Springen, war zweimal Fünfte in der Gesamtwertung, und debütierte 2011 im Weltcup; bei der ersten WM 2009 in Liberec wurde sie 15. Anna Häfele war bis 2015 aktiv, sie gewann vier internationale COC-Wettbewerbe, war Deutsche Meisterin, holte Bronze bei der Junioren-WM und wurde 2009 WM-Achte. Sie sprang ebenfalls ab 2011 im Weltcup. (be/mn)

Mit Jenna Mohr hat Anna Häfele nicht nur die Vergangenheit im selben Verein und im derselben Sportart gemeinsam, sondern auch den Beruf – die Jüngere verdient ihr Geld ebenfalls bei der Bundespolizei; eingesetzt ist Anna Häfele (32) auf dem Flughafen Düsseldorf. Die Fliegerei eben, was sonst.

Tatsächlich ist Anna Häfele mit dem Skispringen noch ganz auf Du und Du. Sie pflegt über eine Whatsapp-Gruppe Kontakt zu früheren und aktuellen Springerinnen, sie schaut zu, wenn es Weltcup im TV zu sehen gibt. „Das lässt mich nicht kalt, wenn die ehemaligen Kolleginnen am Springen sind. Die Sportart hat halt doch sehr mein Leben geprägt“, sagt sie.

Anna Häfele: Frauen-Skispringen hätte sich schneller entwickeln können

Mit neun Jahren stand Anna Häfele das erste Mal auf Sprungski, mit 15 startete sie im Ladies Grand-Prix; so hieß der erste internationale Wettbewerb der FIS für die Frauen. Die gebürtige Willingerin erinnert die Anfänge als familiär, aber auch improvisiert mit ein bisschen Do-it-yourself-Charakter. „Bei vielen Nationen mussten die Frauen alles aus eigener Tasche bezahlen. Da war der Deutsche Ski-Verband schon weiter und unterstützte uns. Von daher war es faszinierend, wie viele Frauen schon damals mit dabei waren“, erzählt sie.

Das Tempo der femininen Schanzeneroberung sieht Anna Häfele insgesamt kritisch. „Es hätte sich alles etwas früher oder schneller entwickeln können“, sagt sie und verweist auf die Nordische Kombination für Frauen, bei der zwischen der Einführung eines Continental-Cups und des ersten Weltcups lediglich drei Jahre verstrichen.

„Beim Frauen-Skispringen hat man damals versäumt, es genauso zielstrebig zu fördern, weil man leider kein Potenzial gesehen hat“, sagt die Willingerin, die mit ihrem Partner im Raum Düsseldorf wohnt.

Ehemalige Skispringerin
In der Hocke: Anna Häfele beim Continental-Cup 2009 auf der Schanze in Baiersbronn. © Imago

Gegenwind kam auch schon mal mit medizinisch fragwürdigen Argumenten auf. „Bei der Landung zerreißt es die Gebärmutter“, warnte etwa der damalige FIS-Präsident Gian-Franco Kasper in den Nuller-Jahren. „Da haben alle Skispringerinnen gesagt, der Typ ist doch aus dem Mittelalter“, erinnert sich Häfele.

Beim Blick auf die eigene Laufbahn ist sie mit sich im Reinen. Für ganz vorne habe es zwar nicht gereicht, sagt sie, Kleinigkeiten hätten gefehlt.„Ich wäre gern noch ein bisschen weiter nach vorn gekommen, denke aber, ich war doch grundsolide mit dabei.“ Es war ihre Entscheidung, als sie 2015 aufhörte.

Zu ihren Nachfolgerinnen hat sie teils noch einen direkten Bezug. Über Katharina Althaus, derzeit die Nummer eins im DSV, sagt sie, bei ihr habe sich das Talent früh herauskristallisiert. Mit Juliane Seyfarth, eine weitere aktuelle Olympia-Fahrerin, teilte sie jahrelang das Zimmer.

Anna Häfele
Anna Häfele heute © Bundespolizei/PR

Anne Häfele schaut mit Wärme auf die vergangenen Wettkampftage: „Wenn man das im Fernsehen sieht, die ganze Kulisse mit dem Schnee, die perfekt präparierten Schanzen, und du denkst, da war ich auch schon: Das war schon eine sehr geile Zeit“, sagt sie.

Wie Jenna Mohr hätte auch Anna Häfele die heutige Generation der Springerinnen gern live auf der Heimatschanze fliegen sehen. „Gerade Willingen empfinde ich als sehr schöne Schanze, die locker auch von Frauen gesprungen werden kann.“

Für sie sei ein Weltcup mit Frauen und Männern nur eine Frage der Zeit gewesen. Die dazugehörige Partykulisse können Althaus und Co. hoffentlich in einem Jahr erleben. Was die Zukunft des weiblichen Springens angeht, denkt Anna Häfele ähnlich wie Jenna Mohr. „Es würde helfen, wenn sie genau wie im Biathlon mit dem Herrenzirkus mitfahren würden.“ Am besten auch bei der Vierschanzentournee: „Für die meisten Ausrichter sollte es kein Problem sein, ein zusätzliches Springen mit ins Programm zu nehmen.“ (Gerhard Menkel)

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