Uhr aus den Arolsen Archives ist Puzzleteil in der Erinnerung an Widerstand

Eine Uhr bildet ein Puzzleteil in der Lebensgeschichte eines mutigen Brüderpaares in Belgien im Widerstand gegen die Nazi-Besatzung.
Bad Arolsen – „Unfassbar“, kommentiert Olaf Pieters das Geschehen in dem nüchternen Raum der Arolsen Archives. Dort gab Direktorin Floriane Azoulay gerade die Uhr des Opas und belgischen Widerstandskämpfers Justine Pieters 78 Jahre nach Inhaftierung im KZ zurück.
Sabotageakte gegen Besatzer
Dessen Sohn Gilbert Pieters war mit Ehefrau Sonja und Olaf aus Genk in der belgischen Provinz Limburg angereist, um das wie eine Überraschung aufgetauchte Erinnerungsstück an den Vater in Empfang zu nehmen.
Einerseits war Gilbert Pieters dankbar andererseits ist die Familie auch stolz auf den Einsatz von Justin Pieters und seines Bruders in einer lokalen Widerstandsgruppe, die sich durch Sabotageakte gegen die deutschen Besatzer auflehnte.
Dokumente des Terrors
Ein Partisan hatte unter Folter die Namen preisgegeben. So kamen die beiden Brüder, 22 und 23 Jahre alt, ins KZ Neuengamme. Dort wurden sie unter den Nummern 44403 (Justin) und 44402 registriert, eine Uhr und einen Ring hatte man den beiden abgenommen und auch diese Gegenstände als „Effekten“ dokumentiert. Durch diese besonderes Form deutscher Gründlichkeit gelang es 18 Jahre nach dem Tod von Justin Pieters 2004 in Genk, die Uhr an die Familie zurückzugeben.
Sein Vater hatte nie was über die Zeit im KZ erzählt, berichtete Gilbert Pieters, und Onkel Maurice, der nach dem Krieg in die USA auswanderte, ließ es sich erst sehr viel später im Rahmen eines Forschungsprojektes Informationen über die Zeit im Widerstand und in der Haft unter den Nazis entlocken.
Detektivische Arbeit
Gilbert Pieters gelang es mithilfe eines Amateurdetektivs, die Geschichte seines Vaters und seines Onkel recherchieren und von der Regionalzeitung aufschreiben zu lassen. Die brachte ein Foto von den beiden, wie sie als „Kriegshelden“ in Genk nach ihrer Rekonvaleszenz von den Menschen gefeiert werden.
Dank vieler glücklicher Umstände konnten beide die Befreiung durch die britische Armee stark abgemagert erleben. Sie brachten gerade 31 Kilo auf die Waage. Sie waren als Zwangsarbeiter eingesetzt und überlebten 1945 das britische Bombardement des mutmaßlichen deutschen Truppentransporters Cap Arcona, auf der 7000 KZ-Häftlinge eingepfercht waren, von denen 6400 ums Leben kamen.
Das fand sich in Arolsen
Durch Nachforschungen auf belgischer Seite kam auch die Existenz einer Uhr von Justin Pieters heraus, führte die Spur zu den Arolsen Archives, die dann zur Übergabe in Arolsen einluden. Der Ring von Maurice ist dokumentiert, er ist aber verschwunden.
Gilbert Pieters, der bei den belgischen Streitkräften in Deutschland als Hubschrauberpilot stationiert war, kannte den Standort Arolsen von Übungen, hatte aber noch nie was vom Internationalen Suchdienst und dessen Nachfolgeorganisation Arolsen Archives gehört.
Sie sind Vorbilder
Die Geschichten hinter solchen unscheinbaren Dingen, die seit ein paar Jahren im Rahmen der internationalen Aktion Stolen Memory peu à peu an Angehörige zurückgegeben werden können, sind die wichtigste Hinterlassenschaft: In diesem Fall des Widerstandes: „Die jungen Menschen von damals, die ihr Leben im Kampf gegen Terror und Gewalt opferten, können ein Vorbild für die heutige Jugend sein“, erklärt Azoulay. Olaf Pieters: „Die heutige Jugend soll sehen, dass die heutige Welt so ist, weil mutige Menschen in der Resistance aktiv waren.“
Der Historiker Joris Verdonck, dessen Vater bei den belgischen Streitkräften in Arolsen stationiert war, ist derzeit bei den Archives tätig und auch mit der Aufarbeitung solcher Geschichten befasst.
Projekt Stolen Memory
Botschaftsrat Philippe Potjes unterstrich aus Sicht von Belgien die Bedeutung der Arolsen Archives für die Erinnerung und die Forschung und die Aktion Stolen Memory.
Die sogenannten Effekten, die beim früheren Internationalen Suchdienst, heute Arolsen Archives, gelandet sind und dort seit Jahrzehnten verwahrt werden, sind nichts anderes als von den Nationalsozialisten geraubtes Eigentum: Uhren, Armbänder, Brillen, Geldmünzen und anderes mehr. Bei den Juden machten sich die Nazis nicht die Mühe, etwa Uhren für eine spätere Freilassung zu registrieren: Diese Menschen waren von vornherein für die Ermordung vorgesehen.
Noch 2500 persönliche Besitzstücke
Inzwischen bemühen sich die Archives durch internationale Aktionen, wenigstens die Nachfahren der KZ-Häftlinge, zu erreichen und ihnen die Erinnerungsstücke zurückzugeben.
Die Arolsen Archives bewahren noch rund 2500 persönliche Besitzstücke ehemaliger KZ-Häftlinge auf. Durch die 2016 gestartete Kampagne #StolenMemory konnten schon über 550 Familien gefunden werden.
Gegenstände aus 30 Ländern
Die persönlichen Gegenstände gehören NS-Verfolgten aus über 30 Ländern, überwiegend aus Polen, Deutschland und der damaligen Sowjetunion. Die meisten persönlichen Gegenstände kommen aus dem KZ Neuengamme in Hamburg, eine geringere Anzahl aus dem KZ Dachau. Armin Haß