Niederländische Familie erhält von Arolsen Archives Erinnerungsstücke an mutigen Onkel zurück

Es ist nicht viel, was in dem kleinen, blauen Kästchen liegt, aber es hat eine große Bedeutung für Anthonia Koens und ihre Tochter Esther Schutijser. Die beiden wohnen in den Niederlanden. In Bad Arolsen konnten sie Erinnerungsstücke an ihren Großonkel Emiel Blommaert entgegennehmen.
Bad Arolsen – Es handelt sich um sogenannte Effekten, Gegenstände, die dem von den Nationalsozialisten gefangen genommenen Onkel abgenommen wurden und nach der Befreiung des Konzentrationslagers Neuengamme von den Befreiern übernommen wurden. Irgendwann kamen die Umschläge mit den Effekten zum Internationalen Suchdienst (ITS). Der Suchdienst hütete diese Effekten unter Leitung des IKRK wie ein Staatsgeheimnis.
Erst nach einer grundlegenden Änderung der Führungsstrukturen und besonders unter der aktuellen Direktorin Floriane Azoulay, bemüht sich die ITS-Nachfolgeinstitution Arolsen Archives, die verbliebenen Effekten an die Hinterbliebenen der ehemaligen Häftlinge weiterzuleiten.
Viele Daten und Details zusammengetragen
Zu Beginn der Bemühungen verfügten die Arolsen Archives über rund 5000 Briefumschläge mit Effekten. „Inzwischen gelingt es uns, jedes Jahr rund 100 Familienangehörige ausfindig zu machen und die Effekten den Familien zurückzugeben“, fasst Archives-Sprecherin Anke Münster den Stand der Dinge zusammen.
Im konkreten Fall der niederländischen Familie ging es um die persönlichen Gegenstände von Emiel Blommaert. Als Beruf ist auf einem seiner Häftlingsdokumente „Kaufmann“ eingetragen. Es finden sich zwei verschiedenen Geburtsdaten: 26. Dezember 1900 sowie 26. Oktober 1909.
Von Amersfoort bis nach Neuengamme
Fest steht, dass er am 8. August 1944 in das Durchgangslager Amersfoort kam. Dort bekam er die Häftlingsnummer 5691. Auf einem Dokument findet sich als Haftgrund der Hinweis „Arbeitsverweigerung“. Am 8 September 1944 wurde er in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert.
Emiel Anrie Blommaert hat die Verfolgung überlebt und ist 1956 in seiner Heimat verstorben. Seine Nichte brachte ein Foto mit nach Arolsen. Sie habe ihren Onkel nie richtig kennengelernt, aber es fühle sich gut an, zu wissen, dass seine persönlichen Gegenstände nun wieder in die Hände der Familie kämen.

„Die kommen ins Erinnerungskästchen“, verriet die Urgroßnichte Esther Schutijser und beim nächsten Familientreffen im November werde der kleine, blaue Karton mit dem kleinen braunen Portemonnaie und den vier kleinen Schlüsseln allen gezeigt. Interessant dürfe für die Familie auch der Kantinengutschein aus dem Durchgangslager Amersfoort im Wert von 25 Cent sein genauso wie der kleine Zettel mit der Häftlingsnummer.
Viele Puzzlestücke zusammengefügt
Die Suche nach den Angehörigen gestaltete sich aus Sicht von Arolsen Archives in diesem Fall vergleichsweise schwierig. Den entscheidenden Hinweis lieferte ein Freiwilliger in den Niederlanden. Dann fügte sich ein Puzzlestück zum anderen.
Das Ergebnis aller Recherchen überreichte der stellvertretende Archives-Direktor Steffen Baumheier zusammen mit ausführlichen historischen Erläuterungen an die Familienangehörigen von Emiel Blommaert. Die zeigten sich auch mächtig stolz darüber, als sie hörten, was der Haftgrund „Arbeitsverweigerung“ im damaligen Sprachgebrauch der Nazis zu bedeuten hatte:
Unbeugsam und mutig
Blommaert hatte sich nämlich geweigert, für die deutschen Besatzer zu arbeiten. „Ganz schön mutig und unbeugsam war mein Onkel. Da können wir ja richtig stolz drauf sein“, kommentierte Anthonia Koens lachend.
Zur Effektenübergabe war Ernst Steigenga nach Arolsen gekommen. Er vertritt die niederländische Regierung in der Internationalen Kommission, die über die Arbeit von Arolsen Archives wacht. Zuständig ist das niederländische Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport.
Weiter suchen – alles zurückgeben
Steigenga stellte bei der Übergabe fest: Das Ministerium betrachtet dies als einen besonderen Moment. Die Rückgabe von persönlichem Eigentum von NS-Opfern an die nächsten Angehörigen sollte fortgesetzt werden, solange es noch Material gibt und solange Familienmitglieder bereit sind, das Eigentum anzunehmen.“
Der Vertreter der niederländischen Regierung dankte allen Freiwilligen, die den Arolsen Archives in den Niederlanden und in anderen Ländern helfen, Angehörige aufzuspüren und zu kontaktieren. Aktuell wird noch nach den Angehörigen von 34 Niederländern gesucht, deren Effekten sich bei den Arolsen Archives befinden.
Jeder Name zählt - Keiner soll vergessen sein
Als Mitglied der Internationalen Kommission unterstrich Steigenga die Wertschätzung für die Arbeit, die in Bad Arolsen geleistet werde. Er bemerke in den vergangene Jahren zunehmendes Engagement, Bemühungen und Ergebnisse der Arolsen Archives,
Neben der Suche nach Angehörigen und der Rückgabe von Effekten beteiligten sich die Arolsen Archives an den gesellschaftlichen Debatten über Holocaust-Verzerrungen, die Bekämpfung von Antisemitismus und andern Formen der Ausgrenzung.
Beispielhaft nannte der Beauftragte der niederländische n Regierung die erfolgreichen Kampagnen #EveryNameCounts und #StolenMemory. Die Arolsen Archives zeigten jeden Tag, dass sich überall auf der Welt Menschen gegen Ausgrenzung, Willkür und Mord und für die Demokratie und die Anerkennung der Menschenrechte einsetzen. (Elmar Schulten)