Elaine Peizer (USA) auf den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren in Bad Wildungen

Elaine Peizer reiste aus den USA nach Bad Wildungen und besuchte die Heimatstadt ihrer jüdischen Vorfahren.
Bad Wildungen – „Oh, was für eine schöne Stadt! Jetzt weiß ich, warum meine Oma so gerne hier war und bis zum Ende von der Stadt schwärmte!“, sagt Elaine Peizer. Ihre Großmutter war Flora Hirsch, die mit ihren Eltern in der Brunnenstraße lebte. Weil sie Jüdin war, wurde sie in der Nazizeit verfolgt und überlebte die Konzentrationslager von Theresienstadt, Auschwitz und Stutthof.
Flora Hirsch war Teil einer Handvoll Wildunger Juden, die die Konzentrationslager überlebten. Sie kehrte nach dem Krieg kurz nach Wildungen zurück und ging mit ihren Töchtern Edith und Suse in die USA. Suse hatte 1939 an den Kindertransporten nach Großbritannien teilgenommen und so überlebt. Flora arbeitete im Familienbetrieb, einer Wäscherei in New York und starb 1986. Ihre Tochter Suse starb 2002. Drei Stolpersteine vor dem Haus Brunnenstraße 36 erinnern an das Familienschicksal. Floras Eltern Alma und Sally Hirsch starben bereits 1938, man sagt infolge Angst und Stress durch die Verfolgungen.
Elaine Peizer war jetzt mit ihrem Ehemann Alan auf Spurensuche in der Badestadt.
Johannes Grötecke führte ein Interview mit der 72-jährige ehemaligen Sprachtherapeutin aus Seattle, USA:
Wie sind Ihre Beziehungen zu Bad Wildungen?
Elaine Peizer: Mein Urgroßvater Sally Hirsch betrieb ein Geschäft für Spielwaren, Kleidung und Souvenirs in der Brunnenstraße und hatte eine Filiale in der Wandelhalle. Er war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und auch im Stadtparlament tätig. Mit seiner Frau Alma hatte er vier Töchter, darunter meine Oma Flora.
Sind Sie zum ersten Mal in der Stadt Ihrer Vorfahren?
Ich war bereits 1970 und 1990 hier. Wir besuchten auch Worms. Nach der Hochzeit in Bad Wildungen zog Flora dorthin, weil ihr Mann aus der Region stammte.
Welchen Eindruck haben Sie von Bad Wildungen?
Es ist wunderschön hier. Die Quellen, die Natur, die Ruhe. Es ist wie Urlaub. Ich verstehe jetzt, wie meine Oma es genossen haben muss, hier aufzuwachsen. Auch meine Mutter Suse war als Kind hier.

Wie reagierten Ihre Freunde, als Sie von Ihrer Deutschland-Reise erzählten?
Sie sagten „Das kannst Du nicht machen. Nie wieder zurück nach Deutschland nach dem, was sie unseren Familien angetan haben.“ Ich denke aber, dass sich viel verändert hat, gerade bei der jungen Generation. Es waren schlimme Zeiten unter den Nazis, die wir nicht vergessen dürfen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es jetzt, dass sich so etwas nicht wiederholt. Wir müssen eine bessere Zukunft bauen.
Wie sieht es mit Judenfeindschaft und Rassismus in den USA aus?
Wir sind sehr besorgt. Unter Trump stieg die Zahl rassistischer Vorfälle dramatisch an. Ich bin sehr enttäuscht und schockiert, was bei uns passiert.
Sie tragen eine besondere Halskette – was hat es damit auf sich?
Ja, dort ist „A 2676“ und „A 2674“ eingraviert. Das waren die Häftlingsnummern meiner Oma und ihrer Schwester, die beide nach Auschwitz deportiert wurden. Flora verbot uns, nach ihrer Zeit in den Konzentrationslagern zu fragen. Als wir sie dennoch nach der Häftlingsnummer am Arm fragten, sagte sie, das sei nur ihre Telefonnummer. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihr.
Wie beurteilen Sie die lokalen Aktivitäten, die die jüdische Geschichte aufarbeiten?
Wir sind dankbar, dass die Erinnerungen an unsere Vorfahren so erhalten bleiben. Die Stolpersteine sind wichtig, vielleicht kann ja auch einer für meine Oma Flora verlegt werden. Auch wenn Erinnerung manch mal weh tut. Gestern habe ich ein Bild von meinem Uropa Sally Hirsch gesehen, als er im März 1933 zu einem demütigenden Marsch durch Bad Wildungen gezwungen wurde. Ich werde das nicht vergessen! Durch die Aufklärung der Menschen in Bad Wildjungen kann ich das Leben meiner Vorfahren aber besser verstehen, ich fühle mich ihnen und der Stadt jetzt viel mehr verbunden.