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Kadaver als Quell des Lebens im Nationalpark Kellerwald-Edersee

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Ein Fuchs frisst an Resten eines ausgelegten Reh-Kadavers
Fotofalle zugeschnappt: Ein Fuchs frisst an Resten des ausgelegten Reh-Kadavers. © Nationalpark Kellerwald-Edersee/pr

Um der Wissenschaft weitere Einblicke in den Kreislauf des Lebens zu ermöglichen, hat der Nationalpark Kellerwald-Edersee einen Rehkadaver ausgelegt.

Bad Wildungen – Wie zersetzt sich das tote Tier und welche Lebensräume bietet es dabei anderen Tierarten, Pilzen oder Pflanzen? Das Reh erfüllt in diesem Fall dieselbe Funktion wie ein abgestorbener Baum. Totholz bleibt im Nationalpark liegen, denn dessen oberstes Ziel besteht im „Prozessschutz“, also der Maxime: Natur Natur sein lassen. Welche Rolle nimmt ein Tierkadaver in diesem Prozess ein? Diese Frage soll in möglichst vielen Details und Zusammenhängen ergründet werden.

Ein wesentlicher Unterschied zum Baum: bei ihm dauert es Jahre, bis er größtenteils verwertet ist. Bei einem toten Tier erfüllt die Natur diese Aufgabe im Wesentlichen binnen Wochen. Viele verschiedene Artengruppen – vom Greifvogel über Marder und Aaskäfer bis hin zu Bakterien und Pilzen, die man mit bloßem Auge nicht mehr sieht – haben sich auf diesen Energie-Impuls im Laufe der Evolution perfekt eingespielt.

Knapp 6000 Tier-, Pilz- und Mikrobenarten an Kadaver nachgewiesen

Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald wiesen 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Mücken- und Fliegenarten, 1820 Bakterien- und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse nach. „Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität“, sagt Christian von Hoermann, von der Universität Würzburg: „Aas gibt viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter.“

Von Hoermann leitet das Projekt in einer Kooperation, die der Nationalpark Kellerwald-Edersee im Oktober mit der Universität Würzburg vereinbarte. Das tote Reh steht am Beginn der praktischen Arbeit.

Wie werden Kadaver in Ökosystemen verschiedener Landschaften genutzt?

„Der Prozessschutz soll auch bei uns im hessischen Nationalpark um einen wichtigen Aspekt erweitert werden“, sagt Tobias Rönitz, Abteilungsleiter Wildtiermanagement des Nationalparks Kellerwald-Edersee.

Über alle teilnehmenden Nationalparke hinweg soll nach einheitlichen Vorgaben untersucht werden, wie Kadaver in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten und Mikroorganismen genutzt werden. Erkenntnisse aus den verschiedenen Großlandschaften – vom Gebirge über die Mittelgebirge bis zu Küstenlebensräumen – fließen auf diese Weise ein.

Selbst Nationalparke überlassen tödlich verunglückte Tiere bislang kaum der Natur

Obwohl der Mehrwert für die Artenvielfalt grundsätzlich bekannt ist, sei es selbst in Nationalparken bislang kaum im Management vorgesehen, verunglückte Wildtiere der Natur zu überlassen, um ihre Prozesse zu fördern, sagt Tobias Rönitz. Das solle sich mit dem auf fünf Jahre angelegten Projekt nun ändern.

Das Bundesamt für Naturschutz unterstützt das Vorhaben. Über einen Zeitraum von drei Jahren werden jährlich acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Rehkadaver an zufälligen Plätzen auf den Flächen der Schutzgebiete abgelegt. Große Aasfresser werden mittels Fotofallen, Insekten mittels Becherfallen, Pilze und Bakterien mithilfe von Abstrichen erfasst und genetisch analysiert. „Wir freuen uns, Teil dieses Projektes zu sein, da es den Zersetzungsprozess von Wildtieren in vielen Dimensionen untersucht“, sagt Rönitz. „Denn ob wir es wahrnehmen oder nicht: der Tod ist ständiger Teil der natürlichen Prozesse.“ (red)

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