Die Großgemeinde entsprang Landesvorgaben: Die sozialliberale Koalition wollte die Gemeinden über eine Gebietsreform zukunftsfähig machen. Sie wollte größere Verwaltungseinheiten schaffen, die leistungsfähiger waren und dank hauptberuflicher Fachleute professioneller arbeiteten.
Die Landesregierung wollte die Zahl der 2642 Gemeinden auf 500 drücken, die der 39 Kreise und neun kreisfreie Städte auf 20 Kreise. Dazu gab es einen „Modellplan“: Jede Gemeinde sollte mindestens 5000 Einwohner haben.
Im Dezember 1970 legte Innenminister Hanns-Heinz Bielefeld „Vorschläge“ vor und lockte mit Geld für einen freiwilligen Zusammenschluss bis Ende 1971.
Im heutigen Diemelsee gab es durchaus andere Bestrebungen als die vom Land ins Auge gefassten:
Der Waldecker Kreistag richtete einen Ausschuss zur Gebietsreform ein, der über den vom Landrat vorgelegten „Modellplan“ der Landesregierung zur „Gebietlichen Neugliederung auf Gemeindeebene“ diskutierte. Am 14. Mai nahm das Parlament den Plan an, der für den Kreis zehn „Gemeindegruppen“ vorsah – darunter die Gruppe Adorf mit 13 Dörfern.
Mit 24 zu sieben Stimmen lehnte der Kreistag einen Antrag ab, Ottlar dem Upland zuzuordnen. Schon der Ausschuss hatte den Flechtdorfer Wunsch zurückgewiesen: Ohne das Dorf sei die Gruppe Adorf „zu sehr geschwächt“.
Und so nahmen die Bürgermeister, Gemeindevorstände und Gemeindevertreter der 13 Dörfer ihre Gespräche auf. Bei der ersten Versammlung Anfang August in Giebringhausen erklärten sich bereit, Verhandlungen zur Bildung der Großgemeinde zu führen. Dann ging es darum, was die Gemeinde zu leisten hätte, beim fünften Treffen in Rhenegge stand die Liste.
Dazu gehörten: ein Schwimmbad und ein Kindergarten für Adorf, die Dommelhalle für Ottlar, die Walmehalle und eine Kläranlage für Vasbeck, dazu Friedhofskapellen, Wasserleitungen, Feldwege.
Am 17. September meldete die WLZ: „Im Raum Adorf sind die Würfel gefallen.“ Bei einem Treffen in Heringhausen sei Einigung erzielt worden über den „Grenzänderungs- und Auseinandersetzungs-Vertrag“.
Am 12. November wurde er im Adorfer Gasthaus „Zur Linde“ unterzeichnet. Es sei ein „historischer Akt“, urteilte Karl Klemm.
Am 7. Dezember beschloss das Kabinett in Wiesbaden die Bildung von sieben Großgemeinden in Waldeck, darunter Diemelsee. Bei einigen Kommunen war die Frage der Zuordnung aber noch offen – etwa bei Mengeringhausen.
Als Bürgermeister, Gemeindevorstände und Gemeindevertreter im August 1971 erstmals zusammenkamen, gab es über den Verwaltungssitz Adorf keine großen Debatten – wohl aber über den Namen der Großgemeinde.
Vertreter von sieben Dörfern sprachen sich für Adorf aus, fünf plädierten auch mit Blick auf den Fremdenverkehr für Diemelsee – dem Namen des 1965 geschaffenen Naturparks und des Stausees.
Am 6. September versammelten sich Bürgermeister, Gemeindevorstände und Gemeindevertreter bei Todtenhausen in Vasbeck. Da kam es mit 6:6 zu einem Patt, Schweinsbühl enthielt sich.
Der Namensstreit zog weite Kreise. Das Marburger Staatsarchiv und der Kreisausschuss sprachen sich für Diemelsee aus. Der Heimatforscher Alfred Emde plädierte in der WLZ für Adorf, weil das Dorf schon in der Geschichte kirchlich wie als „Marktflecken“ eine „führende Stellung“ inne gehabt habe. Und es gab den Schulverbund mit der 1964 eröffneten Mittelpunktschule in Adorf.
Bis Ende Dezember verschoben sich die Gewichte: neun Dörfer für Diemelsee, vier für Adorf. Letztlich entschied die Landesregierung, die wie bei Diemelstadt, Edertal und Twistetal den Kunstnamen Diemelsee wählte. „Das war gut so“, kommentierte Bürgermeister Karl Klemm später: „So war ich den Schwarzen Peter los.“
Es war auch in Diemelsee keine Liebesheirat. So heißt es etwa im Protokoll der letzten Parlamentssitzung in Deisfeld vom 30. Dezember: „Die Gemeindevertretung ist einstimmig der Meinung, daß nur auf Druck der Hessischen Landesregierung der Grenzänderungsvertrag unterzeichnet wurde. Die persönliche Meinung aller Gemeindevertreter war, daß eine selbstständige Gemeinde Deisfeld im Sinne aller Bürger sinnvoller gewesen wäre.“
Der Benkhäuser Bürgermeister Fritz Pohlmann vermerkt im Protokollbuch: „Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe.“
Sein Schweinsbühler Kollege Alfred Döbelt erklärte der WLZ im Dezember, „die Gemeinde hätte gar zu gerne 1975 ihre 900-Jahr-Feier als selbstständige Kommune begangen“.
In Rhenegge gab die Gemeinde nach Weihnachten einen „Ehren- und Abschiedsabend“ im Gasthaus „Zum Berghof“, bei dem sich Bürgermeister Christian Bangert nach 20 Amtsjahren in den Ruhestand verabschiedete – die Gemeindevertreter ernannten ihn zum Ehrenbürgermeister.
In Giebringhausen lud Bürgermeister Walter Emden Mitte Dezember zu einer „Trauerfeier“ ins Gemeindehaus ein – auch die Nachbarn. Die WLZ berichtete am 14. Dezember, die Feier sei „recht fröhlich verlaufen“...
Kommunalwahlen gab es erst im Oktober 1972, deshalb ernannte der Landrat nach Weihnachten Staatsbeauftragte, die bis dahin im Gemeindevorstand und als Gemeindevertreter arbeiten sollten. Er vereidigte sie auch. Der Kasseler Regierungspräsident Alfred Schneider bestätigte die Ernennungen.
Bürgermeister der Großgemeinde wurde der Adorfer Amtsinhaber Karl Klemm, der bereits hauptamtlich arbeitete. Erster Beigeordneter wurde Otto Stein aus Flechtdorf. Weitere Beigeordnete waren Otto Wilke aus Adorf, Alfred Döbelt aus Schweinsbühl, Kurt Ziemann aus Heringhausen und Karl Fischer aus Stormbruch.
Dr. Reccius ernannte Hermann Westerhaus zum Vorsitzenden des Parlaments – er hatte dieses das Amt zuvor in Adorf ausgeübt. Hinzu kamen 18 weitere Gemeindevertreter.
Zum Jahreswechsel vollzog sich der Zusammenschluss – als sichtbares Zeichen wurden die Ortsschilder ausgetauscht. In Adorf wurden offenbar Freund und Feind der Reform aktiv: Die einen klauten neue Diemelsee-Schilder, andere übermalten den Schriftzug Adorf.
1972 ging es daran, die neue Verwaltung aufzubauen und die Dörfer zusammenzuführen. Karl Klemm war ständig unterwegs, um für die neue Gemeinde zu werben.
Die Gemeindevertreter kamen erstmals am 11. Januar in Adorf erstmals zusammen. „Nicht ohne Geburtswehen“ sei im Naturpark Diemelsee ein „prächtiger Dreizehnender geboren“ worden, stellte Parlamentschef Westerhaus fest. Die Gemeindevertreter hätten die Pflicht zusammenzuarbeiten – „damit er bald nicht mehr auf staksigen Beinen steht“.