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Werbeveranstaltung für völkische Bewegung in Sachsenberg

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Von: Marianne Dämmer

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Der Kreativ-Treff „Alter Kindergarten“ in Sachsenberg.
Der Kreativ-Treff „Alter Kindergarten“ in Sachsenberg. Das Gebäude hat der Kulturkreis Sachsenberg 2017 von der Stadt Lichtenfels erstanden. Dort fand die Filmvorführung der „Anastasia“-Bewegung statt. © Marianne Dämmer

Die „Anastasia-Bewegung“ versucht, in Waldeck-Frankenberg Fuß zu fassen. Nach Informationen unserer Zeitung fand am 4. März im „Kreativ-Treff“ des Kulturkreises in Sachsenberg eine Veranstaltung statt, bei der es um die „Anastasia“-Bewegung ging.

Lichtenfels-Sachsenberg – Werbend in den Vordergrund stellt die Bewegung mit Schnittstellen zwischen Esoterik, Ökologie und völkischer Ideologie ein naturnahes Selbstversorgerleben auf dem Lande, auf sogenannten Landsitzen. Häuser und Höfe werden dazu aufgekauft, vor allem auch in Nordhessen. Hinter der alternativen „Aussteiger“-Fassade jedoch wirkt die Bewegung nach Einschätzung von Experten antidemokratisch, frauenfeindlich und antisemitisch. Außerdem sei die Bewegung gekennzeichnet durch Wissenschafts- und Medienfeindlichkeit. Vordringliches Ziel der Ideologie sei der Aufbau eines autoritären Regimes.

Gezeigt wurde in Sachsenberg der Film „Die Reise zum Urvertrauen“ mit Bildern einer Reise von drei jungen Menschen durch Russland „und im Speziellen auf den Spuren von Anastasia und Megre. Die Route kreuzt unter anderem vier Landsitzsiedlungen, zirka 20 Dolmen und die Schetinin-Schule“.

Der Film wurde in den Räumen des „Kreativ-Treffs“ gezeigt. Sie befinden sich im früheren Kindergarten-Gebäude, das die Stadt Lichtenfels 2017 an den Kulturkreis verkauft hatte. Laut Satzung des gemeinnützig anerkannten Vereins darf das Haus nicht für politische Veranstaltungen genutzt werden.

Einladung über Anastasia-Gruppe eines Messenger-Dienstes

Die Veranstaltung wurde als privat bezeichnet. Wer nicht zum akzeptierten Kreis gehörte, dem wurde unseren Informationen zufolge am 4. März der Zutritt zum Kreativ-Treff verwehrt. Zwar spricht nichts dagegen, privat einen Film vorzuführen. Doch die Einladung wurde über eine der Anastasia-Gruppen in einem sozialen Messenger-Dienst versendet, in dem sich die Anhänger der Bewegung eng vernetzen, organisieren und austauschen.

Nach Einschätzung von Expertin Mona Schwarz vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBT Hessen) würden die „Anastasia“-Anhänger oft versuchen, privat zu mieten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. „Da muss man eindeutig hellhörig werden“.

Vorsitzende des Kulturkreises ist Dorli Rauch, die 2022 bereits den Verein „Ur-Europa“ nach Sachsenberg geholt hatte – und mit ihm bekannte Vertreter der Neonazi-Szene (wir berichteten). Auf Anfrage dieser Zeitung, warum sie als Vereinsvorsitzende nicht öffentlich zu der Anastasia-Filmvorführung einlud und warum die vereinseigenen Räume überhaupt für einen Film der als demokratiefeindlich eingestuften Gruppierung zur Verfügung stellte, äußerte sich die 72-jährige pensionierte Lehrerin, die ehemals Mitglied der Grünen war, nicht.

Ideologie der Anastasia-Bewegung

„Sie setzen Natur- und Heimatschutz gleich, vertreten eine Blut- und Bodenideologie, zielen auf ein homogenes Volk – ein biologisches Volk ohne „Vermischung“. In ihrem Denken kann das Volk nur gesund und glücklich sein, wenn es auf eigenem Grund und Boden lebt und mit diesem mittels DNA verwoben ist – mit den Ahnen, die ihre Unendlichkeit dort erfahren und mit ahneneigenen DNA-Materialien, die wieder aus dem Boden übernommen werden und das Volk schützen. Das Ganze ist heftig durchmischt mit rechtsextremen Ideologie“, erklärt die Expertin Mona Schwarz vom Verein „Mobile Beratung gegen Rassismus und Rechtsextremismus für eine demokratische Kultur“ Hessen (MBT).

Dazu gehört unter anderem auch „eine starke Frauen- und Queerfeindlichkeit. Die Familie muss heterogen sein, Mann, Frau, Kinder. Der Fokus liegt auf Vermehrung und der Unterordnung der Frau. Die Bewegung zeichnet sich zudem durch starke Demokratiefeindlichkeit aus, Rassismus, Wissenschafts- und Technologiefeindlichkeit, rechte Kapitalismuskritik sowie Ethnopluralismus. Überragt wird alles von einem sehr starken Antisemitismus, Jüdinnen und Juden werden für alles Schlechte verantwortlich gemacht. Ihnen wird eine Weltverschwörung unterstellt“, so Mona Schwarz.

Den Begriff Ethnopluralismus benutze die neue Rechte, „um sich aus dem Rassismus-Vorwurf zu winden und anschlussfähig an die Gesellschaft darzustellen – eben nicht mehr negativ aufzufallen, sondern sich Schritt für Schritt salonfähig zu geben. Ihr Konzept: Sie behaupten dafür zu sein, dass alle Kulturen und Ethnien gleich wertvoll und schützenswert seien. Um diese Vielfalt nicht zu gefährden, sei eine „Vermischung“ zu verhindern. Eine „Vermischung“ wird in Teilen gar als Genozid bezeichnet. Liest man genau, werden eben doch Unterschiede gemacht: Es wird erklärt, welche Kulturen im Stande sind, politisch zu denken und mitzuwirken und welche sich beispielsweise nur als Arbeitsvolk eignen. Und da sind wir wieder bei einem astreinen Rassismus, der einfach nur ein positives Label bekommen hat,“ erklärt die Expertin Mona Schwarz weiter.

„Sie ziehen in strukturschwache Gegenden, kleine Dörfer, bauen alte Häuser und Gehöfte wieder auf – was für ein Dorf ja erst mal schön ist. Sie sind nett, beteiligen sich in Vereinen, im Ortsbeirat, sie wirken positiv mit bei Problemen vor Ort. Sie richten Feiern und Feste aus, integrieren sich in die Dorfgemeinschaft – das alles mit einem lächelnden Anstrich, um ein nettes Verhältnis mit der Nachbarschaft aufzubauen“, berichtet Mona Schwarz und sagt weiter: „Was den Leuten nicht klar ist, ist die Ideologie, die diese neuen Nachbarn eigentlich vertreten. Das kommt ganz schleichend heraus, und das ist von ihnen so gewollt: Langsam ihre Ideologie in das Dorf einzuspülen. Mal beim Stammtisch oder im Verein einen Satz rausrutschen zu lassen, ihre Ideologie Stück für Stück zur Normalität zu machen und damit nicht so angreifbar zu sein, denn das sind ja die netten jungen Leute von nebenan. Es gibt aber auch Landsitze, die unter sich bleiben wollen und nicht alle sind junge Leute.“ (md)

Nach Recherchen dieser Zeitung hat Dorli Rauch inzwischen angeboten, dass der Film, wenn gewünscht, vielleicht dem Ortsbeirat gezeigt werden könne. Wer immer sich ihr gegenüber dazu kritisch äußere, dem drohe sie mit einer Verleumdungsklage. Sie habe erklärt, es seien zwölf Sachsenberger bei der Filmvorführung gewesen, die übrigen aus umliegenden Orten. Mehrere Beobachter hingegen sprachen gegenüber dieser Zeitung von rund 20 ortsfremden Autos, teils aus Bonn und Bochum.

In Hessen gibt es Siedlungsprojekte der „Anastasia-Bewegung“ in Densberg (Schwalm-Eder-Kreis) und in Nentershausen-Bauhaus bei Bad Hersfeld. Auf Anfrage der SPD-Fraktion im hessischen Landtag nach völkischen Siedlern erklärte Innenminister Peter Beuth im August 2022, die Anastasia-Bewegung sei „kein Beobachtungsobjekt“ des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV Hessen), „gleichwohl prüft das LfV Hessen ... die hier bekanntgewordenen Aktivitäten der Anastasia-Bewegung in Hessen fortlaufend auf das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für extremistische Bestrebungen.“ Bekannt sei eine „mittlere einstellige Anzahl“ an rechtsextremistisch genutzten Immobilien in Hessen, die der Szene unter anderem als Anlauf-, Rückzugs-, Veranstaltungs, Schulungs- sowie Vernetzungsörtlichkeiten dienen. Da sie für die Szene von großer Bedeutung seien, würden sie auch vom LfV beobachtet.

Das sagt Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen

Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärte das LfV Hessen gestern, ihm „ist bekannt, dass als Angehörige der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ bekannte Einzelpersonen Bezüge zur „Anastasia-Bewegung“ aufweisen.“ Grundsätzlich sehe das LfV Hessen „in extremistischen „Aussteiger-Projekten“ eine Gefahr, weil diese mit der ideologischen Abschottung des involvierten Personenkreises einhergehen und somit individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse befördern können. So können Verschwörungsnarrative ihre Wirkung als „Radikalisierungsbeschleuniger“ innerhalb abgeschotteter Personenzusammenschlüsse noch effektiver entfalten“. Wenn sich das LfV nicht dazu äußere, ob es „Personenzusammenschlüsse“ beobachte, „ist dies weder als Bestätigung noch als Verneinung einer Beobachtung zu verstehen.“

Bereits im August 2019 sollte ein Festival mit dem Titel „Im Lichtstrahl von Anastasia Deutschland“ am Edersee stattfinden, unter falschem Namen – eine Privatperson aus Waldeck-Frankenberg hatte die Buchung vorgenommen – hatte sich der „Freundeskreis Anastasia“ aus Kaiserslautern in eine Jugendherberge eingemietet. (Von Marianne Dämmer)

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