Nach der Amokfahrt von Volkmarsen: Viele wünschen einen Schlussstrich

Mehr als zwei Jahre nach der Amokfahrt beim Rosenmontagszug haben Magistrat und Karnevalsgesellschaft über die Verwendung der rund 19.000 Euro Spendengelder entschieden, die damals spontan zur Linderung der Not der Opfer im Rathaus und in der Kirche eingegangen sind.
Volkmarsen – Rund 5000 Euro wurden inzwischen für die Anschaffung von drei Defibrillatoren ausgegeben, die am Rathaus und an zwei Feuerwehrhäusern angebracht wurden. Weitere 14.000 Euro werden für Schaffung eines Platzes der Stille und Besinnung am Waldrand des Esseberges mit Blick auf die Stadt und den Wald der Kugelsburg aufgewendet.
Bürgermeister Hartmut Linnekugel erklärte die lange Frist bis zur Verwendung der Spendengelder mit der Tatsache, dass sämtliche Opfer der Amokfahrt aus verschieden Versicherungstöpfen gut versorgt worden seien. Die unmittelbaren Genesungskosten würden von den Krankenkassen beglichen.
Kein Denkmal für den Täter schaffen
Eine Opferentschädigung werde von einem Fond der Autoversicherer ausgeglichen. Außerdem gebe es eine Opferentschädigung des Landes. So hätten Magistrat und Karnevalsgesellschaft lange überlegt, wie das Geld am besten verwendet werden solle.
Einigkeit habe darüber geherrscht, dass keine Gedenkstätte geschaffen werden solle, die am Ende noch von dem Täter mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung als Denkmal für seine Tat umgedeutet werden könnte.
Viele leiden noch immer
Die neue Opferbeauftragte der hessischen Landesregierung, Daniela Birkenfeld, machte sich ein Bild von dem im Aufbau befindlichen Platz der Besinnung am Waldrand zwischen Volkmarsen und Breuna.
„Ich bin beeindruckt davon, wie sehr die Bürger von Volkmarsen nach dem Anschlag auf ihr Karnevalsfest zusammengerückt sind“, stellte Birkenfeld fest und ergänzte, ihr sei bewusst, dass immer noch einzelne Betroffene auf medizinische und psychologische Hilfe angewiesen seien.
Lebenslang nach Mammutprozess
Die Verwendung der Spenden für einen Ort der Stille und Besinnung, den Kinder und Erwachsene gleichermaßen nutzen könnten, halte sie für eine gute Idee. Die Landesregierung bleibe auch künftig Ansprechpartner für die Opfer.
Von Anfang Mai bis kurz vor Weihnachten hat im vergangenen Jahr der Mammutprozess nach der Amokfahrt von Volkmarsen gedauert. Das Verfahren endete mit einer Verurteilung des zur Tatzeit 29-jähriges Täters zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes in 91 Fällen und gefährlicher Körperverletzung in 90 Fällen. Das Urteil des Kasseler Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig, weil die Verteidigung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt hat.
Corona erschwerte psychologische Aufarbeitung
Für die meisten Volkmarser aber war der Urteilsspruch ein erster Schlussstrich unter die sinnlose Tat, die so viel Leid über die Stadt gebracht hat. Zwar kam durch glückliche Umstände niemand bei der Amokfahrt ums Leben, aber einige der Verletzten von damals sind noch immer in medizinischer und psychologischer Behandlung.
Wenige Tage nach der Tat wurden Corona und der erste Lockdown zum alles beherrschenden Thema. „Das erschwerte die Aufarbeitung“, sagt Bürgermeister Hartmut Linnekugel. Er weiß, dass die meisten Volkmarser jetzt am liebsten einen Schlussstrich unter die schlimme Tat ziehen möchten.
Lange nach der besten Lösung gesucht
Ein Denkmal für die Opfer der Tat sei deshalb aus Sicht des Magistrates nicht in Frage gekommen. Schließlich sei ja auch niemand zu Tode gekommen. Das sei der entscheide Unterschied zum tödlichen Terroranschlag auf die Synagoge von Hanau, der sich nur wenige Tage vor dem Rosenmontag ereignete.
So habe der Magistrat gemeinsam mit Vertretern der Karnevalsgesellschaft und der Kirchen lange überlegt, wie die Spendengelder, die unmittelbar nach der Tat im Rathaus und bei der katholischen Kirche eingingen, am besten zu verwenden gewesen sein.
Drei Defibrillatoren für medizinische Notfälle
Im Dezember 2020 habe die katholische Kirchengemeinde in der Adventszeit Genesungswünsche mit einem Adventskalender an alle bekannten Opfer der Tat überreicht.
Nach weiteren Beratungen habe man dann entschieden, dass drei Defibrillatoren am Rathaus und an den Feuerwehrhäusern in Külte und Volkmarsen bei medizinischen Notfällen wertvolle Hilfe leisten könnten.
Ansprechpartnerin für die Landesregierung
Jetzt werde am Waldrand des Esseberges ein Platz der Stille gestaltet, an dem alle Volkmarser innehalten und Abstand vom Alltag finden könnten. Dazu werden zwei Waldsofas und ein Spielhaus aus Holz aufgestellt. Von dort eröffne sich der Blick über die Stadt Volkmarsen. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen besichtigte am Donnerstag die Beauftragte der hessischen Landesregierung für die Opfer von Terroranschlägen und schweren Gewalttaten, Daniela Birkenfeld, den Platz am Waldrand.
Sie erinnerte an die Zivilcourage, mit der eine junge Frau und einige starke Männer den seinerzeit Amokfahrer von Volkmarsen gestoppt hatten. Beeindruckt sei sie auch von der Art und Weise, mit der die Stadtgesellschaft zusammengestanden habe. Wann immer die Unterstützung der hessischen Landesregierung benötigt werde, sei sie gerne die Ansprechpartnerin.
Bürgermeister Hartmut Linnekugel dankte für die Hilfe und bekräftigte, dass er stets auf offene Ohren und tatkräftige Hilfe in Wiesbaden gestoßen sei. (Elmar Schulten)