Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus scheiden laut Urteilsverkündung aus. Bleibt der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Freiheitsstrafe, um den Angeklagten von einer Wiederholungstat abzuhalten. Dann muss ein Gericht in vielen Jahren entscheiden, ob die Sicherungsverwahrung tatsächlich angewendet wird. Damit ist sichergestellt, dass der Angeklagte erst dann aus der Haft entlassen, wenn er nicht mehr gefährlich ist.
Maurice P.‘s Verteidiger Bernd Pfläging hat Revision gegen das Urteil angekündigt: „Da ist juristisch viel Musik drin“, sagte er nach der Urteilsverkündung - vor allem da sein Mandant zur Tat geschwiegen hat, müsse man über die Strafrahmenverschiebung diskutieren und die Wiederholungsgefahr sei gleich null.
Der Hessische Opferbeauftragter Dr. Helmut Fünfsinn ist zufrieden mit dem Urteil, weil jetzt die Betroffenen mit der Tat abschließen können: „Das Gericht hat das Leid der Geschädigten noch einmal sehr deutlich nachgezeichnet - das war richtig und wichtig. Ich bin froh über dieses Urteil.“
Es folgt eine Zusammenfassung der Beweisaufnahme: Er wurde gesehen, wie er das Auto in der Lütersheimer Straße abgestellt hat und an seiner Dashcam herumhantierte. Anschließend war er im Rewe-Markt und hat einen Pfandbon von 50 Cent eingelöst und seine Wohnung noch einmal aufgeräumt. „Der Vermieter sagte, so wie auf den Fotos habe er die Wohnung noch nicht gesehen.“
Dann ist er zu seinem Auto zurück. Dann hielt er sich im Kreuzungsbereich auf und wartet auf den Moment, in dem es losging. Dabei war ihm langweilig. Deshalb hat er Bubble-Shooter gespielt.
Der Angeklagte verfolgt die Urteilsverkündung so wie der das ganze Verfahren verfolgt hat: Still auf der Anklagebank sitzend, mit vorgebeugtem Körper, seine Arme auf seine Arme gestützt, aber ohne sichtbare Regung.
Die drei Nebenklägerinnen sind ebenfalls im Gerichtssaal, darunter auch die Eltern des Mädchens, das von dem silbergrauen Mercedes überrollt wurde. Wie durch ein Wunder blieb das Mädchen unverletzt und von konnte von starken Männern unverletzt unter dem Motorraum hervorgezogen werden. „Da kann man wirklich von Glück reden, dass niemand ums Leben gekommen ist. Da war der berühmte Schutzengel am Werk“, sagte Mütze.
Neben der lebenslangen Haft stellte die sechste Große Strafkammer des Landgerichts Kassel unter Vorsitz von Richter Volker Mütze die besondere Schwere der Schuld fest. Damit hat der Angeklagte nicht schon nach 15 Jahren automatisch die Möglichkeit, dass ihm die Reststrafe von drei Jahren erlassen wird.
Ob er jemals wieder in Freiheit kommen wird, hängt von dem 31-jährigen Mann selber ab, denn das Gericht hat zugleich den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Das bedeutet: Der Amokfahrer von Volkmarsen muss mit Psychologen zusammenarbeiten und an seiner Persönlichkeiten arbeiten. Nur wenn die Psychologen ihm bescheinigen, dass keine Wiederholungsgefahr bei ihm besteht, bleibt er nicht in Sicherungsverwahrung.
Damit ist das Gericht in allen wesentlichen Punkten der Argumentation und der Strafmaßforderung der Staatsanwaltschaft gefolgt. Die Verteidigung hatte in ihrem Plädoyer in der vergangenen Woche kein konkretes Strafmaß beantragt, sondern nur um eine insgesamt mildere Bewertung der Amokfahrt gebeten.
Am Ergebnis der 24-tägigen Beweisaufnahme mit 180 Zeugen aber gab es keinen Zweifel: Dem Angeklagten wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass er am 24. Februar 2020 in voller Absicht sein Auto in die Zuschauer und Teilnehmer des Rosenmontagszuges im Volkmarser Steinweg gesteuert hat.
Juristische war diese Tat als versuchter Mord in 89 Fällen und als gefährliche Körperverletzung in 88 tateinheitlichen Fällen zu werten, außerdem als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.
Unstrittig waren auch die beiden Mordmerkmal der Heimtücke und der gemeingefährlichen Tatbegehung. Juristischer Dissens herrschte jedoch zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung über das Vorliegen eines dritten Mordmerkmals, nämlich der „niederen Beweggründe“.
Während die Staatsanwaltschaft abgrundtiefen Hass auf die Gesellschaft, das Bedürfnis, einmal groß rauszukommen oder aber die Gier nach einem Adrenalinschub als mögliche Motive bei dem Angeklagten zu erkennen glaubte, hielt die Verteidigung dagegen, dass es für solche Behauptungen überhaupt keine Anhaltspunkte gebe. Schließlich habe der Angeklagte sich über die ganze Prozessdauer hinweg und auch im Gespräch mit der psychiatrischen Gutachterin nicht geäußert. Die Antwort nach dem Warum bleibt*.
Weitere Nebenfolgen für den Angeklagten sind der dauerhafte Einzug seines Führerscheins und des Tatfahrzeugs. Außerdem darf ihm auch nach Verbüßung nicht sofort wieder eine Fahrerlaubnis erteilt werden.
Das Medieninteresse am Tag der Urteilsverkündung ist überwältigend. Mehrere Kamerateams verschiedener Fernsehsender, Vertreter mehrerer Nachrichtenagenturen und die Korrespondenten von Spiegel, FAZ und anderen großen deutschen Zeitung sind ebenso in die Kasseler Stadthalle gekommen, wie die unmittelbar geschädigten Volkmarser. Volkmarsens Bürgermeister Hartmut Linnekugel wurde schon vor Beginn der Urteilsverkündung um seine Einschätzung gebeten. Als Vertreter der Hessischen Landesregierung war der Hessische Opferbeauftragter Dr. Helmut Fünfsinn im Zuschauerraum, als der Vorsitzende Richter Volker Mütze das Urteil verkündete.(Elmar Schulten)
Am vorletzten Prozesstag wurde die unfassbare Tat der Amokfahrt von Volmarsen noch einmal chronologisch und minutiös aufgearbeitet. Wie ist es jemanden wie Maurice P. vor Gericht zu vertreten? Im Podcast spricht Strafverteidiger Bernd Pfläging über seinen Job*. *hna.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.