Regierungspräsident trifft in Volkmarsen indonesische Künstler: Antisemitismus wie eine Spaltaxt

Was als Routine-Besuch des Kasseler Regierungspräsidenten gedacht war, entwickelte sich am Mittwochnachmittag zu einem spontanen Lehrstück im Umgang mit Antisemitismus in Deutschland und Indonesien am Rande der Kasseler Kunstausstellung documenta fifteen.
Volkmarsen - Bei seinem Antrittsbesuch in der Kugelsburgstadt hat Regierungspräsident Mark Weinmeister das Gustav-Hüneberg-Haus im Steinweg mit dem historisch bedeutsamen jüdischen Ritualbad (Mikwe) aus dem 16. Jahrhundert besucht. Gleichzeitig ebenfalls zu Gast im Mike-Haus waren vier Künstler, des indonesischen Künstler-Kollektivs Jatiwangi, die aktuell bei der documenta in Kassel ausstellen.
Die indonesischen Künstler waren bei einem documenta-Besuch spontan von der Tochter eines Mitglieds des Trägervereins „Rückblende - Gegen das Vergessen“ nach Volkmarsen eingeladen worden, um hier zu erfahren, wie sich die Bürger der Stadt seit fast 30 Jahren bemühen, die Geschichte der Stadt und ihrer jüdischen Mitbürger im Laufe der Jahrhunderte aufzuarbeiten.
Aufgeschlossen für jüdische Kultur
Die Gäste aus Indonesien zeigten sich aufgeschlossen, ließen sich das jüdische Ritualbad im Kellergeschoss und die Ausstellungsräume in den oberen Etagen erklären. Im Gespräch ließen sie durchblicken, dass sie sich persönlich von der Antisemitismus-Debatte in Kassel überrollt fühlten.
Sie seien sich durchaus bewusst, dass alle Menschen letztlich gleich seien und die gleiche Luft atmeten. Antisemitismus liege ihnen nicht im Sinn.
Museum im Mikwe-Haus eingerichtet
Interessiert hörten die indonesischen Gäste zu, als Regierungspräsident Weinmeister an einem Modell des Konzentrationslager Sobibor die menschenverachtende Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialisten schilderte.
Teil der Ausstellung im Gustav-Hüneberg-Haus sind auch Ausstellungstafeln, die von den Besuchen ehemaliger Volkmarser Bürger jüdischen Glaubens in ihrer alten Heimatstadt erzählen. Mit diesen Besuchen, organisiert von Ernst Klein, begann 1995 die Erinnerungsarbeit in Volkmarsen, die in der Gründung des Vereins Rückblende mündete und 2018 zum Kauf des Mikwe-Hauses im Steinweg führte.
Gut nachbarschaftliche Beziehungen über Jahrhunderte
Mit archäologischem Gespür war hier im alten Gewölbekeller ein jüdisches Ritualbad ausgegraben worden, das die Existenz einer jüdischen Gemeinde in der Stadt über viele Jahrhunderte und das friedliche Zusammenleben christlicher und jüdischer Mitbürger belegt. Schließlich konnte der Verein Rückblende das Gebäude erwerben, und zum Museum umgestalten.

Im Garten des Hauses wurde vor wenigen Wochen ein Kunstwerk aus der Werkstatt von Christian Schnatz aufgestellt. Die Stele zeigt, wie eine Spaltaxt einen Stein spaltet, der die Gesellschaft symbolisieren soll. Ein Sisalband hält die gespaltene Gesellschaft zusammen. Das Sisalband aber ist vergänglich und muss immer wieder erneuert werden.
Gustav-Hüneberg-Haus und Mikwe-Keller am Sonntag geöffnet
Zu den rund 180 Mitglieder im Verein Rückblende zählte bis zu seinem gewaltsamen Tod auch der ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke. Er hatte seinerzeit angekündigt, er wolle Mitglied werden, wenn die Schallmauer von 100 Mitgliedern erreicht sei. Sein heutiger Nachfolger im Amt kündigte an, er werde es Lübcke gleichtun und bei Erreichen der 200-Marke ebenfalls Mitglied werden.
Das Gustav-Hüneberg-Haus im Volkmarser Steinweg 24 mit seinem Mikwe-Keller, der Erinnerungsbibliothek und dem Gartencafé hat am Sonntag von 14 bis 17 Uhr für interessierte Besucher geöffnet. (Elmar Schulten)