„Noch nicht verfassungswidrig“ – Beim Soli tickt die Uhr

Der Bund der Steuerzahler wollte den Soli vor dem Bundesfinanzhof aushebeln. Doch der BFH hält die umstrittene Ergänzungsabgabe nicht für verfassungswidrig - zumindest „noch nicht“.
München – Es ist Montag, 10.02 Uhr, im ehrwürdigen Gustav-Jahn-Saal des Bundesfinanzhofs (BFH) in München, als ein Raunen durch die Reihen der rund 50 Besucher, Beobachter und Journalisten geht. Gerade hat der BFH-Präsident und Vorsitzende des IX. Senats, Hans-Josef Thesling, die Klage gegen den umstrittenen Soli abgeschmettert. Der Solidaritätszuschlag sei in der seit 2020 geltenden Form „nicht verfassungswidrig“, beschied Thesling den Klageführer Prof. Roman Seer vom Institut für Steuerrecht an der Uni Bochum.
Dabei hatte der Verlauf der Verhandlung zwei Wochen zuvor eher auf einen Erfolg der Kläger hingedeutet. Kaum eine Stunde hatte sich das höchste deutsche Gericht damals Zeit genommen, ohne eine einzige Frage zu stellen.
Viele Beobachter hatten aus dem Kurz-und-Schmerzlos-Termin geschlossen, dass der fünfköpfige Senat die Soli-Klage wohl ans Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe weiterreichen würde. Doch weit gefehlt. Bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit reichten nicht aus, um den Fall – wie von den Klägern angestrebt – dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, resümierte Thesling trocken.
Soli-Klage: Ehepaar hält Regelung für verfassungswidrig
Konkret ging es in dem viel beachteten Verfahren vor dem höchsten deutschen Finanzgericht um die Klage eines älteren Ehepaars aus Aschaffenburg. Die Eheleute hatten sich mit Unterstützung des Bundes der Steuerzahler (BdSt) gegen ein Urteil des Finanzgerichts Nürnbergs zur Zahlung des Soli gewehrt und Revision beim BFH eingereicht. Nach ihrer Auffassung sei der Zweck des Soli – die Finanzierung der deutschen Einheit - spätestens mit dem Auslaufen des Solidarpakts II 2019 entfallen. Denn die Sonderfinanzierung der ostdeutschen Bundesländer gebe es seither nicht mehr.
Zudem verstoße der Soli nach Auffassung der Kläger gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, weil nur noch eine kleine Minderheit der Steuerzahler die Abgabe trage, die große Mehrheit jedoch nicht. Dem Charakter nach sei die Abgabe zu einer „Reichensteuer“ umfunktioniert worden, hatte der Anwalt des Ehepaars in der Verhandlung Mitte Januar argumentiert.
Soli-Klage: BFH-Richter sehen großen Spielraum der Politik
Doch der fünfköpfige BFH-Senat folgte den Argumenten der Klägerseite nicht. Der Soli sei nicht an den Solidarpakt gekoppelt. Außerdem habe der Bund dargelegt, dass es wegen der Wiedervereinigung weiterhin einen erhöhten Finanzbedarf gebe – und zwar auch nach dem Auslaufen des Solidarpakts II. Dies gelte etwa für die Rentenversicherung oder Leistungen am Arbeitsmarkt, urteilte das Gericht.
Unerheblich sei auch die Frage, ob die Ergänzungsabgabe ausschließlich – also aufkommensgenau – und trennscharf für die neuen Bundesländer verwendet werde. Das Geld aus der Ergänzungsabgabe komme in einen großen Topf. Bei der Mittelverwendung gestehen die Richter der Politik einen sehr großen Spielraum zur.
In der Regierungskoalition wurde das BFH-Urteil überwiegend erleichtert aufgenommen. Zwar hatte sich die FDP um Parteichef und Finanzminister Christian Lindner als erbitterter Gegner des Soli positioniert. Zudem war das Bundesfinanzministerium dem Verfahren in München beigetreten, zog sich dann aber kurzfristig wieder zurück – offenbar auf Anweisung Lindners.
Aber mit der Entscheidung hat die Koalition zumindest ein milliarden-schweres Haushaltsrisiko weniger – zumindest vorerst. Denn die obersten deutschen Richter haben dem Solidaritätszuschlag, der dem Bund alleine im Vorjahr gut elf Milliarden Euro in die Kassen spülte, keinesfalls die vorbehaltlose und vollständige Absolution erteilt.
Soli-Klage: Richter sehen Regelung als Auslaufmodell
Der Aufbau Ost sei zweifellos eine Generationen-Aufgabe, urteilten die Richter. Dies umfasse 30 Jahre. Ursprünglich war der Soli 1995 eingeführt worden. 2025 hätte der Soli diese Marke erreicht. Der IX. Senat sieht die Ergänzungsabgabe daher als Auslaufmodell - trotz des Urteils vom Montag. Das offenbart auch ein Blick in die Pressemitteilung. „Die Erhebung des Solidaritätszuschlags“, heißt es dort, „war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig.“
„Spätestens im nächsten Jahr“ müsse die Regelung vom Bund daher überprüft werden, erläuterte auch Gerichtssprecher Volker Pfirrmann am Montag gegenüber Merkur.de. Der Soli, resümierte der Finanzrichter ganz nüchtern „kann so nicht ewig weitergehen“.